
Das ist eine neue Folge von German Vote, meinem Pro-EU-Podcast. Wenn du mich noch nicht kennst, ich bin Jörg Stroisch und seit über 20 Jahren Journalist für Verbraucherthemen. Das ist auch der Grund, warum ich diesen Podcast mache, denn bei Verbraucherthemen kommen viele Dinge von der EU.
Und da spielt sich viel im digitalen Bereich ab: DMA, DSA, AI Act, um nur einige große Verordnungen zu nennen. In dieser Episode beschäftige ich mich mit dem DMA und DSA. Die gehört übrigens zur Rubrik „Kai aus der Kiste“. Das ist meine Rubrik für aktuelle Entwicklungen, die etwas zynisch darauf abzielt, dass Verbraucherthemen der EU uns in Deutschland immer maßlos überraschen, weil sie vermeintlich von heute auf morgen in Kraft treten. Das ist natürlich nicht der Fall. Alle Verordnungen und Richtlinien haben einen sehr langen Vorlauf. Wie immer ist das hier kein Plaudergespräch, sondern ein fokussierter Beitrag, für den ich einige Experten interviewt habe.
Neue Episoden erscheinen immer zur Mitte des Monats, am 2. Montag im Monat in deutsch (kenntlich gemacht durch ein [de]). Eine Woche später, also am 3. Montag im Monat gibt es dann die gleiche Folgen in englisch (kenntlich gemacht an dem [en] im Titel). Sie ist nicht exakt identisch zur de-Folge, aber nahezu.
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Transkription:
„In den letzten zwei Jahrzehnten sind digitale Plattformen zu einem integralen Bestandteil unseres Lebens geworden. Es ist kaum vorstellbar, er dient etwas online ohne Amazon, Google oder Facebook zu tun. Auch wenn die Vorteile dieses Wandels auf der Hand liegen, verschafft die marktbeherrschende Stellung, die einige dieser Plattformen erlangt haben, ihnen einen massiven Vorteil gegenüber ihren Konkurrenten, aber auch einen unzulässigen Einfluss auf Demokratie, Grundrechte, Gesellschaft und Wirtschaft. Die großen Onlineplattformen bestimmen oft künftige Innovationen oder die Wahl der Verbraucher und dienen als sogenannte Gatekeeper. Zwischen Unternehmen und Internetnutzern. Um dieses Ungleichgewicht zu beseitigen, verbessert die EU die derzeitigen Rechtsvorschriften für digitale Dienste durch die Einführung des Gesetzes über digitale Märkte – Digital Markets Act (DMA) – und des Gesetzes über digitale Dienste – Digital Services Act (DSA). Mit diesen Gesetzen wird ein einheitliches, EU-weit gültiges Regelwerk geschaffen.“
So beschreibt das Europäische Parlament in einem Artikel den Sinn des DMA und DSA. Am 17. Februar 2024 wurde dann das DSA umgesetzt, am 7. März dann mit dem DMA das zweite Gesetz. Beide Gesetze sind schon einige Jahre vorher, nämlich im November 2022, in Kraft gesetzt worden. Und selbst der Artikel des Europäischen Parlaments dazu erschien in seiner ersten Fassung sogar schon ab 15. Dezember 2021.
DMA und DSA – zwei wichtige europäische Gesetze
Sprich, dass wir in Deutschland vom DMA Anfang März 2024 überrascht wurden – das Gesetz sprang quasi wie Kai aus der Kiste – ist nicht darauf zurückzuführen, dass es nicht schon lange bekannt war.
Der Digital Service Act (DSA) – oder in Deutsch „Gesetz über digitale Dienste“ – regelt konkret einen besseren Schutz von Bürgerinnen und Bürgern. So soll hier ein sichereres Online-Umfeld geschaffen werden. Dazu gehören zum Beispiel Sorgfaltspflichten für Plattformen oder eine bessere und klarere Meldung illegaler Inhalte, Produkte oder Dienstleistungen.
Birgit Schmeitzner, Pressesprecherin der EU-Kommission, beschreibt es so:
„Alle, die wir hier leben, sind täglich viel im Netz. Ich nutze ganz verschiedene Plattformen und Dienste. Das erleichtert meinen Alltag, unser aller Alltag. Aber da gibt es eben auch eine Kehrseite der Medaille: Sehr große Anbieter haben eine sehr große Marktmacht, können das Ganze ausnutzen, können intransparent vorgehen. Dann sind Verbraucherinnen und Verbraucher vielleicht auch manchmal unsicher: Worauf lasse ich mich jetzt ein, wenn ich irgendwo einen Account mir einrichte? Was habe ich damit alles schon unterschrieben? Und ist das alles so rechtens, was diese Plattform dann tatsächlich von mir weiß, von mir abgreifen kann, Daten und so weiter? Wo werde ich möglicherweise abgezockt? Wo werden Daten unkontrolliert genutzt?
Das ist etwas, wo der DSA einhakt. Da gibt es strengere Regeln für große Plattformen, die mehr Einfluss nehmen können. Dass gegen verschiedene Unternehmen nicht sofort Verfahren eröffnet werden – das passiert auch -, aber der erste Schritt ist, dass man erstmal nachfragt: Okay, wir haben das Gefühl auf dem Feld X, zum Beispiel die Moderation von Inhalten ist, läuft es auf dieser Plattform nicht rund, informiert uns doch als Plattform. Was habt ihr da für Mechanismen eingezogen, um Verbraucher*innen zu schützen und das Ganze eben regelgemäß ablaufen zu lassen? Das fängt jetzt langsam an und ich würde sagen; Der DSA hat schon Biss entwickelt.“
Konkret sieht der DSA für Unternehmen, die mehr als zehn Prozent der 450 Millionen Verbraucherinnen und Verbraucher in Europa erreichen besondere Vorschriften vor.
Umfangreiche Liste mit Webunternehmen beim DSA
Auf einer umfangreichen Liste stehen darauf unter anderem: Aliexpress, Amazon, Apple, Google, Microsoft, Twitter oder Zalando.
Der Digital Market Act (DMA) ist wiederum eine Verordnung mit einem Umfang von 66 Seiten. In ihm sind zahlreiche Regelungen in Form von Pflichten und Verboten enthalten, die Plattformen einhalten müssen, die als sogenannte Gatekeepern identifiziert wurden. Etwas abstrakt wird da zum Beispiel formuliert, dass diese Unternehmen ihren gewerblichen Nutzer den Zugang zu Daten ermöglichen müssen, die sie bei ihrer Nutzung der Gatekeeper-Plattform generieren. Oder Benutzer dürfen nicht mehr daran gehindert werden, vorinstallierte Software oder Apps zu deinstallieren, wenn sie dies wünschen.
René Repasi, EU-Abgeordneter für die sozialdemokratische S&D-Fraktion, beschreibt hier die Gründe für die Entwicklung:
„Wenn man sich die Situation im Digitalen anschaut, dann ist schon die Bezeichnung digitaler Märkte fehlleitend, weil man dann davon ausgeht, es gäbe Märkte. Das war überhaupt gar nicht der Fall. Wir haben reinen Wildwest auf digitalen Märkten. Die waren unreguliert für Jahrzehnte. Digitale Märkte funktionieren natürlich nicht so wie der Schokoriegelmarkt, dass man Konkurrenzprodukte hat, die über den Preis entscheiden und das qualitativ beste Produkt setzt sich dann irgendwann einmal durch
Hier wird mit Daten gearbeitet, weil man derjenige, der den größten Datenschatz hat, kann die zielgerichteten Ansprachen machen, die zielgerichteten Dienstleistungen anbieten, die dann besonders nachgefragt werden. Wenn man ein Werbebudget von 100.000 Euro hat und dann sagt ein Unternehmer: Ich bringe die Werbung an genau die Leute, die sich überlegen oder vielleicht auch gar nicht wissen, dass sie dein Produkt kaufen wollen. Dann gibst du denen das natürlich. Während derjenige sagt, ich mache halt Plakate, kriegt das dann nicht. Google hat so viele Daten über uns, dass die jedem Werbetreibenden versprechen können, mit dem was ich habe, bringe ich deine Werbung zielgerichtet zu dem Verbraucher, den du adressieren möchtest.
Dadurch saugen sie Marktanteile auf, und zwar weil sie Daten gesammelt haben und weil wir Verbraucherinnen Verbraucher unsere Daten weggeschmissen haben im Surfverhalten. Und deswegen haben wir dort eine Vermachtung vom Datenbesitz von ganz wenigen Riesenunternehmen, die außerhalb der EU sind, die mit dem Markt treiben können, was sie wollen. Weil sie die kleinen Unternehmen, die Zugang zu den Dienstleistungen haben möchten, da öffnen sie die Tür – deswegen nennt man die auch „Gatekeeper“ – und anschließend mit denen machen können, was sie wollen.
Sie sind zeitgleich im Wettbewerb, noch mit denen. Nehmen wir Shoppingportale: Da hat Google Shopping einen Informationsvorteil gegenüber anderen Shopping-Portalen. Dann können sie sich selbst bevorteilen. Wir haben also eine Situation gehabt, wo derjenige, der den Regeln unterliegen soll, die Regeln des Marktes schreibt und sie jederzeit beliebig ändern kann. Das gibt es sonst nirgendwo. Das war mal vor 100 Jahren bei den Erdölgesellschaften in Amerika so. Es ist heute nur dort so. Das Wettbewerbsrecht, das eigentlich aufräumen sollte, kam dem nicht hinterher. Wir brauchten Jahrzehnte. Wir hatten jetzt wieder einen Google-Shopping-Fall vor dem EuGH. Das hat vor 15 Jahren angefangen, das Verfahren. In digitalen Märkten ist es eine Frage von Wochen, von Monaten, um eine Marktposition zu bekommen, die vermachtet ist.
Deswegen musste man da rangehen und sagen: Wir brauchen nicht die langwierigen Wettbewerbsverfahren, müssen regulativ ran. Und das hat der Digital Markets Act gemacht, der gesagt hat: Hier Kommission, das sind so krasse Fälle, da vermuten wir ein Problem, hier handelt.
Das Gleiche haben wir dann gemacht beim Verhältnis gegenüber Verbrauchern. Da kam jetzt dann der Digital Services Act: Ganz besonders große Plattformen haben ganz besonders große Verantwortung. Und da können wir auch sofort handeln, wenn es schief geht. Im Digital Services Act ist es sogar so, dass die beaufsichtigten Unternehmen für ihre Aufsicht bezahlen müssen, sodass wir gleichzeitig die Man-and-Women-Power schaffen, um das durchzusetzen. Und das war total notwendig, weil wir einen Markt haben, der eben nicht mehr funktioniert.
Jetzt müssen wir gucken, bekommen wir das überhaupt noch repariert? Manche sagen, das Kind ist schon total in den Brunnen gefallen. Und das ist eigentlich der Lackmustest. Das ist das, wo wir jetzt gerade stehen.“
DMA nimmt „Gatekeeper“ ins Visier
Beide Gesetze betreffen direkt ganz konkret den Verbraucher, sollen auch gerade seine Position in der digitalen Welt verbessern. Im Falle des DMA geht es vor allem darum, für ihn Alternativen zu erzwingen.
Miika Blinn, Experte beim Verbraucherzentrale Bundesverband, gibt dafür ein Beispiel:
„Konzerne wie Amazon oder Google dürfen ihre eigenen Produkte in ihren Rankings nicht bevorzugen. Das heißt, es besteht also durchaus auch die Möglichkeit, dass dann Angebote, die passender und günstiger sind oben in den Rankings landen – und nicht nur die eigenen Angebote. Das ist wirklich ein direkter Vorteil.
Für Verbraucherinnen bietet sich auch noch ein anderer Vorteil, nämlich dass Drittanbieter dürfen auch die Verbraucherinnen jetzt direkt kontaktieren und Angebote und Rabatte dann einräumen. Das wurde früher von den Gatekeepern gerade diejenigen, die Mobilsysteme kontrollieren, dann unterboten.
Wie beispielsweise Spotify: Die konnten dann nicht irgendwelche Preisrabatte an Apple vorbei den Verbrauchern direkt weitergeben. Da ist dann die Apple Tax fällig geworden, also eine gewisse Provision, die gezahlt werden muss. Und diese Möglichkeit besteht jetzt auch, dass man dann Verträge für seine Apps oder für Abonnements, Streamingdienste etc. außerhalb dieser Ökosysteme abschließen kann, die von den Gatekeepern kontrolliert werden. Und deswegen könnten dann auch diese Drittanbieter dann den Verbraucherinnen direkt die Rabatte einräumen, weil sie auch dadurch Geld sparen, dass sie nicht mehr diese Provision direkt an die Gatekeeper zahlen müssen.“
Konkret wurden von der EU-Kommission bisher Alphabet, der Mutterkonzern von Google, Amazon, Apple, Booking, Bytedance – der Konzern hinter Tiktok-, Meta – der Mutterkonzern unter anderem von Facebook, Instagram und WhatsApp -, und Microsoft als Gatekeeper im Sinne des DMA identifiziert.
Mit dem DMA und den DSA sind also erste Schritte unternommen worden. Im Falle der Gatekeeper im DMA sind diese seit dem 7. März 2024 verpflichtet, die Vorgaben umzusetzen.
Indes, so richtig gut funktioniert das noch nicht, wie Miika Blinn beschreibt.
„Der Verbraucherzentrale Bundesverband, die Kolleginnen, die haben sich das angeschaut direkt am 7. März. Und haben festgestellt, dass eben nicht alle Anbieter alle Vorgaben umsetzen. Man hat sich da einzelne, spezifische Aspekte herausgegriffen. Und dann zum Beispiel festgestellt, dass zu diesem Stichtag 7. März nicht unbedingt dann die Betriebssystems-Updates erfolgt sind, die eigentlich hätten erfolgen müssen, um den Verbrauchern dann diese ganzen Wahlmöglichkeiten zu geben.
Wir hatten jetzt noch mal im Sommer eine Folgeuntersuchung. Und haben uns dann auch angeschaut, wie beispielsweise dieses Recht, zu bestimmen, welche Informationen von einzelnen Diensten der Geldkeeper zusammengeführt werden – dieses Recht zu bestimmen: das möchte man oder möchte man nicht – wie das von den Gatekeepern umgesetzt wurde. Und man hat schon festgestellt, dass eigentlich so ziemlich alle untersuchten Anbieter, die darunter fallen, dass die versucht haben, durch manipulative Designs die Verbraucherinnen so zu beeinflussen, dass sie im Endeffekt einer Datenzusammenführung über die verschiedenen Gatekeeper-Dienste hinweg zustimmen.
Solche manipulativen Designtricks sind auch bekannt. Man kennt das ja von den Cookies, da ist dann der Zustimmungsbutton besonders grün und leuchtend und rot und der Ablehnbutton dann irgendwie klein. Oder teilweise haben die Gatekeeper jetzt auch längere Klickwege eingesetzt. Dann gab es auch eine optische Gestaltung einfach der Nutzeroberflächen. Das sah dann einfach attraktiver aus zum Zustimmen. Und die verwendete Sprache war auch in einigen Fällen sehr auffällig. Da wurde beispielsweise dann gezielt mit der Sorge der Nutzerinnen gespielt, dass, wenn man nicht zustimmt, dass das dann alles kostenpflichtig werden könnte. Oder dass, wenn man dann diese Einwilligung verweigert, dass man gewisse Nachteile hätte und dass man dann diese Dienste auch nur eingeschränkt nutzen kann.
Das war äußerst unerfreulich dass das so von den Gatekeepern eingesetzt worden ist, wo doch eigentlich klar war, dass man da schon auch genauer hinschauen wird.“
Die EU-Kommission ist nun gefordert, diese Verstöße zu ahnden. Im Moment finden dort die Überprüfungen statt, die auch in Verfahren münden können, mit dann womöglich hohen Strafen.
Birgit Schmeitzner, Pressesprecherin der EU-Kommission, bewertet die beiden Gesetze insgesamt positiv:
„Wenn man sich jetzt DSA und DMA in diesem Paket anschaut, könnte man das eigentlich so ganz plakativ beschreiben als das, was wir als das neue Grundgesetz des Internets in Europa ansehen. Wo wir wollen, dass es einen fairen Wettbewerb gibt, dass die mächtigen Plattformen reguliert werden, dass es also da keinen Wildwuchs gibt. Dass es Wachstum geben kann, aber nicht ungeregelt und nicht zu Lasten der Rechte von den Menschen und den Unternehmen. Und dass Innovation angeregt wird, aber eben auch in eine Form gebracht wird, die eben Risiken minimiert.“
Entwicklung im Bereich digitaler Verbraucherschutz geht weiter
Ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung also, darin sind sich viele einig. Aber natürlich gibt es auch Verbesserungspotenzial, denn natürlich läuft noch nicht alles rund.
Andreas Schwab ist EU-Abgeordneter für die konservative Fraktion EVP. Und er sieht hier wichtige Aufgaben für die Zukunft:
„Die vergangene Legislaturperiode war sehr stark davon geprägt, dass wir die Interaktionszentren zwischen Verbrauchern und digitalen Plattformen betrachtet haben. Wir haben in der Tat etwas weniger echte Verbraucherpolitik, sondern mehr regulatorische Vorgaben für Plattformen dabei benutzt. Es gab zwar auch eine Überarbeitung der Produktsicherheitsverordnung, die von einer Richtlinie zu einer Verordnung wurde. Es gab eine Verschärfung der Spielzeugverordnung, die früher eine Richtlinie war.
Aber insbesondere haben wir mit dem Gesetz über digitale Dienste eben sehr stark die Plattformen, die Verantwortlichkeit der Plattform, im Gegensatz zur E-Commerce-Richtlinie aus dem Jahr 2000 überarbeitet und mit dem Gesetz über digitale Märkte eben die Wettbewerbsbedingungen für die großen Plattformen präzisiert.
Und vor allem von der Ex-post-Betrachtung auf die Ex-ante-Regulierung überführt, weil die Geschwindigkeit in digitalen Märkten einfach so groß ist, dass wir da eine Veränderung gebraucht haben. Und wir stellen jetzt schon wieder fest, am Beispiel Temu – Temu hat in sechs Monaten genauso viele Kunden gewonnen, wie europäische Plattformen in sechs Jahren gewinnen konnten – , dass die Geschwindigkeit wahrscheinlich nicht ausreicht, die wir den Behörden geben, um zu reagieren, sondern wir da noch nachsteuern müssen und noch mehr Geschwindigkeit für die Behörden auch schaffen müssen.
Denn die Digitalisierung ist sicherlich auch eine Chance, aber sie bleibt natürlich nur dann eine Chance, wenn die Behörden genauso schnell reagieren können, wie die Geschwindigkeit auf diesen Plattformen stattfindet. Es gibt zwar koordinierte Aktionen der Marktaufsichtsbehörden, die allerdings in vielen Mitgliedstaaten relativ stark ausgedünnt worden sind in den letzten 30, 40 Jahren. Aber diese koordinierten Aktionen bringen leider nicht die volle Transparenz, die wir für die Bewertung des Risikos nach erfolgter Risikoanalyse durch die Plattformen bräuchten, um ihnen ein echtes Fehlverhalten und damit auch eine eigene Haftung nachzuweisen. Da müssen wir noch besser werden.
Und da werden wir sicherlich in dieser Legislaturperiode auch prüfen, ob wir Gesetze nachschärfen müssen.“
Aus Sicht der Verbraucherschützer fordert Miika Blinn ein noch schärferes Vorgehen, denn aus seiner Sicht können Verbraucher ihre Rechte oft nur schwer durchsetzen:
„In der EU wird diskutiert, sich generell anzuschauen, inwieweit das Verbraucherrecht up to date und in der Lage ist, Verbraucherinnen gegenüber missbräuchlichen Techniken effektiv zu schützen. Also beispielsweise manipulatives Design von Benutzeroberflächen ist ein Problem. Das ist häufig schwer zu greifen. Da würden wir uns durchaus wünschen, dass man da mit dem Digital Fairness Act, den die Europäische Kommission angehen möchte – also eine Art Check des Verbraucherrechts, um zu schauen, sind denn diese digitalen Märkte, laufen die denn fair und sauber -, dass man da sich dieser Problematik noch mal genauer widmet und dazu kommt, dass man sowas abstellt.
Generell muss man sich bei der Rechtsetzung und bei der Rechtsdurchsetzung fragen, ob das System, nach dem wir bisher verfahren, überhaupt zielführend ist. Häufig ist es ja so, dass sie Vorgaben im Gesetzestext haben und wenn man das Gefühl hat, dass Unternehmen gegen Recht und Gesetz verstoßen, müssen sie das den Unternehmen nachweisen. Und die Nachweispflicht liegt bei Ihnen. Das ist in vielen Fällen de facto gar nicht richtig möglich. Gerade, wenn es beispielsweise um Diskriminierungsfälle geht, wenn sie eine KI einsetzen und sie fühlen sich dann durch so eine KI diskriminiert: Wie wollen Sie denn als Verbraucherin nachweisen, dass Sie da eine ungerechtfertigte, nachteilige Behandlung erfahren haben?
Deswegen denke ich, dass das in vielen Fällen auf eine Beweislastumkehr hinauslaufen muss, dass man einen begründeten Verdacht äußert, dass man ungerechtfertigt behandelt worden ist. Und dann liegt es an dem Unternehmen, zu zeigen, dass dies nicht so ist.“
Eines ist auf jeden Fall klar: Diese Themen werden in der EU weiterhin stark und heiß diskutiert. Auch die ins Visier genommenen Unternehmen reagieren zum Teil auch manipulativ auf diese neue Gesetzgebung.
Und mit dem Digital Fairness Act steht hier auch bereits das nächste Gesetzesvorhaben auf der Agenda.
Transparenzhinweis zu dieser Folge über den digitalen Verbraucherschutz der EU
Für die Realisierung meines Podcasts nehme ich Unterstützung unterschiedlicher EU-Institutionen in Anspruch. So wurde mir für meine Interviews mit EU-Parlamentariern eine Reisekostenunterstützung nach Straßburg bezahlt. Außerdem habe ich vor Ort die Studios und Services für Journalisten in Anspruch genommen. Inhaltlich beeinflusst werde ich dabei natürlich nicht.