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„Besonders tiefe Schächte, besonders stabile Architektur“

Ruhrgebiet: Fotografie-Künstlerin Hilla Becher über den dokumentarisch-künstlerischen Ansatz ihrer Industriebau-Fotografie, das Ruhrgebiet als sich ständig verändernder Ort ihres Schaffens und den Reiz des Vergleichs mit anderen Regionen.

Ruhrgebiet: Fotografie-Künstlerin Hilla Becher über den dokumentarisch-künstlerischen Ansatz ihrer Industriebau-Fotografie, das Ruhrgebiet als sich ständig verändernder Ort ihres Schaffens und den Reiz des Vergleichs mit anderen Regionen.

VDI nachrichten: Für Ingenieure steht die Technik im Vordergrund des Industriegebäudes, nicht die Visualität. Wie stehen Sie dazu?

Becher: Wir haben zwar unsere Fotografien immer unter dem visuellen Gesichtspunkt gesehen, aber die weiteren Einflussfaktoren nicht vernachlässigt. Und deshalb ist der technische Fortschritt ein Thema: Es ist interessant, wie sich in bestimmten Epochen und durch Erfindungen die Architektur verändert. Es ist sogar im Verlaufe eines Menschenlebens so viel Veränderung vorhanden, dass es schon wertvoll ist, nur diese Veränderung festzuhalten.

Ihre aktuelle Ausstellung findet in Bottrop statt, mit der Kokerei und Zeche Prosper ein Stück weit noch das „alte“ Ruhrgebiet Ihrer Fotografien. Welchen Bezug haben Sie zum „neuen“ Ruhrgebiet?

Becher:Das ist eine ganz normale Entwicklung. Es lässt sich nicht alles an Industriearchitektur erhalten. Dann würden wir in einem großen Museum leben und das ist auch nicht gut.

Was reizt Sie bei Ihrer Arbeit gerade am Ruhrgebiet?

Becher:Das Ruhrgebiet ist sehr groß, sehr dicht besiedelt und sehr stark industrialisiert. Hier haben die Bergwerke besonders tiefe Schächte und dadurch eine besonders stabile Architektur. Wir haben auch in vielen anderen Ländern der westlichen Welt Industriebauten fotografiert und hier wirkten sich andere geologische, ökonomische und technische Rahmenbedingungen aus. Der Vergleich auf unseren Fotografien etwa zwischen dem Drei-Mann-Bergwerk in Pennsylvania und dem 3000- bis 5000-Personen-Betrieb im Ruhrgebiet zeigt dennoch den gemeinsamen Nenner.

Sie haben die Industriebauten des Ruhrgebiets mal als nomadische Architektur bezeichnet. Nun sind viele Industriebauten Denkmäler. Ist das Nomadentum beendet?

Becher:Nein, das Wesen von Industriebauten ist es, dass sie sich ständig weiterentwickeln. Technisch, geologisch und auch ökonomisch – etwa die Kohle- und Stahlkrisen – beeinflussen unmittelbar die Bauten. Die Stahlbauten werden nach Gebrauch verschrottet und neue Bauten errichtet. Einige wenige Industriebauten sind als Zeugnisse zum Glück für die Nachwelt erhalten geblieben. Aber in Bewegung sind die Region und ihre Bauten weiterhin.

Wieso bezeichnen Sie Industriearchitektur auch als „anonyme Skulpturen“?

Becher:Nicht Designer bauen die Industriegebäude, sondern anonyme Firmen erstellen sie. Deshalb sind die Bauten anonym. Aber dennoch ist der visuelle Aspekt interessant: Die Zechen und Hochöfen sind von ihrer Anmutung her vergleichbar mit Skulpturen.

Die Arbeit im Ruhrgebiet war harte „Maloche“. Ihre Fotografien zeigen dies nicht, sondern die Bauten nahezu menschenleer. Wieso?

Becher: Die Menschen erscheinen bei der Außenbetrachtung der Fabriken nicht, sie arbeiten unter Tage oder in den Hallen. Das ist der Normalzustand der Arbeit. Unser Ansatz ist aber auch nicht das Porträt, sondern wir widmen uns in großformatigen und lang belichteten Fotografien dem visuellen Reiz der Architektur. Entsprechend sind die Menschen auf den Fotos so klein wie Ameisen und verwackelt. Das ist unser Ansatz und auch bei der Fotografie einer Kathedrale fragt man ja nicht: Wo war der Pfarrer, wo war die Gemeinde? 

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