Zwischen Gasometer, Koks und Loveparade

Das Ruhrgebiet ist in diesem Jahr Kulturhauptstadt Europas und feiert ohne Pause. Stern.de nennt die wichtigsten Veranstaltungen und gibt Tipps zum Entdecken der Industriekultur und kurioser Ecken im Revier – etwa den ersten Aldi-Markt Deutschlands.

Gestern noch war das Ruhrgebiet von Kohle, Stahl und Bier geprägt. Jetzt ist die Region mit ihren fünf Millionen Einwohnern für ein Jahr die Kulturhauptstadt Europas. Unter dem Motto „Wandel durch Kultur – Kultur durch Wandel“ geht der Pott neue Wege. In den nächsten Wochen machen attraktive Veranstaltungen und Ausstellungen das Gebiet zwischen Kamener Kreuz und Rhein zu einem attraktiven Reiseziel. An Emscher und Ruhr lässt sich nicht nur das Erbe der Schwerindustrie besichtigen, sondern auch die Zukunft der größten Metropolenregion Deutschlands.

Die Kokerei Hansa in Dortmund versprüht den Charme der fünfziger Jahre: grau-weiß gesprenkelte Bodenplatten, hellblaue Fliesen an den Stahlbetonsäulen. Der alte Schaukasten ist noch immer in Aushang für Verwaltung, Betrieb, Knappschaft, Gewerkschaft und Betriebsrat unterteilt. Dabei ist die Kokerei seit 1992 geschlossen. Aber die Arbeit war auch hier harte Maloche, wie der Ruhrgebietsmensch sagt.

In den 314 Öfen wurden in der Kokerei Hansa täglich 5000 Tonnen Koks produziert. Und Gerhard Henzler, von Hause aus Kokerei-Chemiker, führt heute mit seinen Kollegen durch die Kohlebunker und über Batterieanlagen, die zwar rostig aussehen, aber einen lebhaften Eindruck vom Alltag einer typischen „Chemiefabrik“ im Pott vermitteln.

Wiege des Kohlebergbaus 

Der Grundstoff für diese Kokskohle kam auch aus den benachbarten Zechen in Dortmund und von der Zeche Nordstern in Gelsenkirchen. Wie die Welterbestätte Zollverein in Essen wurde auch diese Zeche von den Bauhausarchitekten Fritz Schupp und Martin Kremmer geplant. „Glück auf“, sagten hier die Bergleute in tausend Metern Tiefe. Doch 1993 kam mit der letzten Grubenfahrt das Aus für Nordstern – und der Auftakt für den Nordsternpark. Denn die Bundesgartenschau verwandelte das riesige Areal 1997 zu einem Landschaftspark.

Bei der ehemaligen Zeche Nachtigall bei Witten bleibt das Areal dagegen überschaubar. Hier im Muttental steht die Wiege des Kohlebergbaus. Schon 1510 wurde die Kohlegewinnung erstmals urkundlich erwähnt. Damals mussten die Bauern nur ein wenig Lehm zur Seite kratzen, und schon kam das schwarze Gold zum Vorschein. Im Muttental existiert noch ein echter Bergwerkstollen, der einfach in einen Hang getrieben wurde. Der 130 Meter lange Nachtigallstollen führt vorbei an einem „Alten Mann“ – die Bezeichnung für ein Abbauflöz, aus dem bis 1844 Kohle gefördert wurde.

Der älteste Aldi der Welt

Wer im Jubeljahr 2010, wenn sich Essen und das Ruhrgebiet als Kulturhauptstadt Europas feiern, das Revier besucht, sollte nicht nur der Route der Industriekultur folgen. Der 400 Kilometer lange Rundkurs durchs Ruhrgebiet führt zu Hochöfen, Gasometern oder Fördertürmen, die die industrielle Vergangenheit prägten und im Rahmen des Strukturwandels eine neue Nutzung erfahren haben. Interessanter sind Abstecher zu kuriosen Orten wie nach Essen-Schonnebeck. In der Huestraße 89 steht der älteste Aldi der Welt, die Keimzelle des Lebensmittel-Discounters, in der die Brüder Albrecht noch selbst hinter der Theke standen.

Nicht nur der Einkauf bei Aldi ist im Ruhrgebiet Kult. Auch eine Portion Pommes, am besten mit Mayo und Ketchup garniert, sollte man bei einem Besuch stilgerecht an einem Büdchen im Stehen vertilgen. Ein typischer Vertreter dieser bodenständigen Ruhrgebietsküche ist „Peter Pomm“ im Duisburger Arbeiterstadtteil Marxloh (August-Bebel-Platz 7). Die Friteusen-Kochkunst mundete auch Schimanski-Darsteller Götz George, wie ein vergilbtes Foto an den Fliesen der winzigen Pommesbude belegt.
Wohnen wie die Kumpels vor 100 Jahren

Pommes gibt es auch im Bochumer Bermuda-Dreieck. Das bekannteste Ausgehviertel im Ruhrgebiet lebt von den unzähligen Kneipen. Die Fußgängerzone ist gerade an Sommerabenden eine riesige Partymeile nicht nur für Studenten.

Nach soviel Party braucht man ein Bett zum Ruhen. In Essen gibt es in unmittelbarer Nähe zum Welterbe Zollverein einen echten Vierspänner als Ferienwohnung. Das klassische Bergmannhaus nennt sich so, weil hier ursprünglich vier Familien lebten und jede Wohnung einen eigenen Eingang hatte. Für 25 bis 35 Euro pro Person kann der Gast nicht nur nächtigen, sondern im Keller an Kohle schnuppern und in einer Zinkbadewanne entspannen – wie die Bergleute anno 1899.

Zum Originalartikel. Für stern.de hat Jörg Stroisch vereinzelt Artikel verfasst.