
Dies ist eine Spezialfolge: Zitate von Isabelle Buscke kommen in Episoden zum Verbraucherschutz meines Podcasts vor. Hier gibt es nun das komplette, bereinigte Interview mit ihr. Denn ich finde, dass dies einen guten Eindruck davon vermittelt, wie Verbraucherpolitik in der EU funktioniert und welche Themen gerade behandelt werden.
Isabelle Buscke ist seit 12 Jahren Büroleitern des Verbraucherzentrale Bundesverbandes (VZBV), dem Dachverband von Verbraucherzentralen und Verbraucherschutzorganisationen in Deutschland, in Brüssel. Sie ist studierte Politologin und Sprachwissenschaftler – und bringt die Positionen des VZBV in den europäischen Politikbetrieb ein. Sie ist in diesem Sinne eine Lobbyistin für den Verbraucherschutz.
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In diesem Podcast kommt KI zum Einsatz; so ist ein Großteil meiner Stimme mit einem Voice-Klon generiert worden.
Und hier ist das komplette, bereinigte Interview mit ihr (Transkript nahe an der gesprochenen Sprache):
Frage: Sie machen dann Statements oder Papiere und Flyer. Aber wie entsteht die Verbraucherpolitik? Und wie bringen Sie die konkret ein?
Der VZBV hat eine ganze Abteilung, die sich nur damit beschäftigt, zu wissen und zu verstehen, wo bei Verbraucherinnen und Verbrauchern in Deutschland der Schuh drückt. Das sind einerseits die Daten, die wir über die Verbraucherzentralen erhalten, die diese wiederum aus den Beschwerden der Verbraucherinnen und Verbraucher generieren. Sie können ja als Verbraucherin oder Verbraucher in Deutschland zu Ihrer nächsten Verbraucherzentrale gehen. Wenn Sie ein Problem mit einem Anbieter haben, das sie nicht gelöst bekommen oder wenn sie das Gefühl haben, sie sind einem Betrug aufgesessen oder Ähnlichem. Die Kollegen in der Verbraucherzentrale versuchen, ihnen zu helfen, aus dieser Situation herauszukommen. Das wird statistisch erfasst. Diese Beschwerden können ausgewertet werden, also statistisch ausgewertet in dem Sinne, dass man sieht: In dem Sektor Telekommunikation zum Beispiel geht es in diesem Jahr besser als in den vorherigen Jahren. Und dann kann man auch sehen, ist das möglicherweise auf eine Gesetzesänderung zurückzuführen oder im Gegenteil, das Unternehmen y ist besonders stark aufgefallen im letzten Jahr. Vielleicht haben die ein Geschäftsmodell, was neu ist, was zu Problemen führt für Verbraucherinnen und Verbraucher. Aber das ist die eine Datengrundlage, die wir haben, die wir immer wieder aufarbeiten und in die wir dann auch so ein bisschen vorstoßen, um zu schauen, was ist denn eigentlich der Hintergrund dieser Probleme? Das gepaart mit wissenschaftlicher Forschung, mit Umfragen, mit Fokusgruppen – das ist die Datengrundlage, die wir nutzen. Und natürlich auch unsere Unterlassungsklagen, also was wir vor Gericht gewinnen oder verlieren, ist ja auch ein Indikator dafür, wie gut Verbraucherrecht eigentlich funktioniert. Das sind die Erkenntnisse, die wir versuchen, auch in den europäischen Gesetzgebungsprozess einzubringen, indem man eben darlegt, wo funktionieren bestimmte Bestimmungen nicht oder wo nutzen Unternehmen eine Gesetzeslücke ganz konkret aus zum Nachteil von Verbraucherinnen und Verbrauchern.
Frage: Wie bringen Sie das hier vor Ort ein?
Einerseits müssen wir immer informiert sein darüber, was hier gerade diskutiert wird, sowohl im Europäischen Parlament als auch in der Europäischen Kommission. Aber wir verbringen sehr viel Zeit damit, Gespräche zu führen mit allen Personen, die am Entscheidungsprozess beteiligt sind. Das unterscheidet sich je nach Stadium des Gesetzgebungsprozesses.
Die Kommission hat ja das alleinige Initiativrecht auf europäischer Ebene. Das bedeutet, dass man am Anfang eines Prozesses häufig erstmal mehr mit der Europäischen Kommission spricht, ihnen die Daten zur Verfügung stellt, die Probleme erläutert, versucht zu verstehen, welches Problem die Europäische Kommission selbst identifiziert hat und zu lösen versucht. Und manchmal geht es auch einfach darum, dass in einem Prozess, den die Europäische Kommission identifiziert hat, dass sie gar nicht auf dem Schirm haben, dass es auch für Verbraucher eine Relevanz hat, wie da jetzt agiert wird. Und dass man sich da eben auch einbringt, diese Perspektive einbringt.
Also es funktioniert tatsächlich sehr viel über persönliche Gespräche und das Erklären. Und natürlich verschriftlichen wir das Ganze auch. Eine klassische Arbeit, die unsere Kolleginnen und Kollegen in Berlin verrichten müssen, ist, Stellungnahmen schreiben zu Gesetzgebungsvorschlägen. Natürlich machen wir Pressearbeit, sprechen mit Multiplikatoren unterschiedlicher Art. Aber Journalisten sind da besonders wichtig. Die Kolleginnen und Kollegen in der Kommunikation versuchen aber auch andere Zielgruppen zu erreichen. Also ganz allgemein: Was macht Verbraucherpolitik? Wofür ist sie gut? Wie können Verbraucherinnen und Verbraucher Hilfe bekommen? Was gibt es für Möglichkeiten der Streitschlichtung? Das ist der ganze Instrumentenkasten, den wir natürlich benutzen. Und was wir auch versuchen, zu zeigen, ist das neue Instrument Sammelklagen. Wie kann also auch ganz konkret europäische Politik, – denn es ist eine europäische Richtlinie gewesen, die das eingeführt hat -für Menschen in ihrem Alltag auch hilfreich sein, indem sie Geld zurückbekommen, was ihnen Unternehmen illegal aus der Tasche gezogen haben.
Frage: Aber Sie sprechen wahrscheinlich nicht direkt mit den Kommissaren und Kommissarinnen? Oder wie muss ich mir das vorstellen? Sind die dann so im Dialog auf vielen Ebenen unterwegs im Parlament und in der EU-Kommission?
Das ist richtig. Wir sprechen auch mal mit den Kommissaren, aber das kommt sicherlich vielleicht zwei-, dreimal in einer Legislaturperiode vor. Sicherlich mit der jeweiligen Kommissarin, die für Verbraucherschutz zuständig ist, vielleicht einmal im Jahr mit den anderen deutlich seltener. Das muss man auch gar nicht immer. Die Kommissare haben natürlich ihren eigenen Stab und die haben ja auch die Dienststellen. Also man muss sich das vorstellen wie ein Ministerium, das ist hierarchisch organisiert und man muss nicht immer nur mit der politischen Spitze sprechen, sondern es reicht häufig, mit Referentinnen und Referenten oder Referatsleitungen zu sprechen. Die arbeiten ja dann sehr konkret häufig an einem Vorhaben, haben dann besonderes Interesse und sind dann auch besonders versiert in der Materie und verstehen gut, was man ihnen für einen Mehrwert bringt oder welche Informationen man da beiträgt. Das hat alles seine Vor- und Nachteile. Zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Prozess ist es sinnvoll, mit unterschiedlichen Menschen zu sprechen.
Frage: Jetzt ist eine neue Kommission gerade bestimmt worden. Was erwarten Sie da insbesondere von der Kommission in Bezug auf Verbraucherschutz?
Die neue Europäische Kommission hat einen ganz starken Fokus auf Wirtschaftspolitik. Das ist nicht grundsätzlich ein Problem, denn Verbraucherinnen und Verbraucher sind auch Teil der Wirtschaft. Sie sind am Ende der Wirtschaftskette. Und deswegen sind wir da immer mit drin mit der Verbraucherpolitik. Die Frage ist dann: Wo liegt der Fokus? Der ist im Moment stark auf der Industriepolitik und der Wettbewerbsfähigkeit. Das birgt immer die Gefahr, dass Verbraucheranliegen und Alltagssorgen von Verbraucherinnen und Verbrauchern vielleicht aus dem Fokus rücken. Das ist sicherlich einer der Schwerpunkte, die wir setzen werden, dass das eben nicht aus dem Fokus gerät.
Es gibt einige Leuchtturmprojekte dieser Europäischen Kommission, von denen wir uns sehr viel erwarten. Die sind schon angekündigt und deswegen sind wir zuversichtlich, dass die kommen. Das ist einmal die Anpassung des europäischen Verbraucherrechts an die Digitalisierung allgemein und an digitale Geschäftsmodelle. Worum geht es da? Ich möchte in einem Webshop einkaufen und werde erst mal dreimal gefragt, ob ich nicht den Newsletter haben möchte und hier noch ein Pop-up und hier kann ich noch was gewinnen und dort wird mir gesagt schnell, schnell, es sind nur noch zwei im Lager, obwohl das häufig gar nicht stimmt. Das haben wir ja auch untersucht. Diese Arten der Manipulation von Verbraucherinnen und Verbrauchern, wenn sie gerade dabei sind oder versuchen, eine Kaufentscheidung zu treffen, die gibt es ja im digitalen Raum, da gibt es unendlich viele Möglichkeiten. Wenn Sie in ein Geschäft gehen, irgendwo in der Einkaufsstraße, ist das deutlich geringer. Und diese Diskrepanz soll aufgehoben werden, damit Verbraucherinnen und Verbraucher besser autonome Kaufentscheidungen treffen können, die auch wirklich ihren Interessen entsprechen und nicht den Interessen der Unternehmen. Das läuft unter dem Schlagwort Digital Fairness. Das läuft auch unter der Ägide des Verbraucherschutzkommissars. Das hat er angekündigt. Dazu hat er sich in seiner Anhörung bekannt. Da haben wir große Erwartungen dran.
Und ein anderes großes Thema, was die von der Leyen-Kommission angekündigt hat, ist die lästigen Ärgernisse im europäischen Bahnverkehr abzustellen. Im Moment stehen Verbraucherinnen und Verbraucher vor dem Hindernis, wenn sie quer durch Europa mit dem Zug fahren möchten, dass sie nicht an einer Stelle ein Ticket buchen können, das ihre gesamte Reise abdeckt und was dann auch komplett mit Fahrgastrechten geschützt ist. Das will die Kommission ändern, das begrüßen wir sehr und das wird sicherlich auch ein Thema sein, dem wir uns sehr stark widmen werden. Das ist jetzt auch speziell mit dem Kommissar für Verbraucherschutz. Der fokussiert diese beiden Themen aus der Stadt.
Das letzte Thema zum Thema Bahn ist beim Verkehrskommissar angesiedelt.
Verbraucherschutz ist ein horizontales Thema, ist ein Querschnittsthema. Das findet sich fast in jedem Politikfeld wieder. Telekommunikationsarbeit, Energiepolitik, Lebensmittel und Ernährungspolitik und das ist alles verteilt auf viele Kommissare und auf ihre verschiedenen Dienststellen.
Frage: Das heißt, wir haben es mit sehr vielen Menschen zu tun, die irgendwie an Verbraucherschutzmaterie arbeiten. Würden Sie noch Ihren eigenen Standpunkt zum Digital Fairness Act nochmal präzisieren?
Genau. Ich persönlich finde den Begriff Dark Patterns überhaupt nicht transparent. Deswegen benutze ich lieber das Wort Manipulation oder manipulatives Design. Am Ende geht es darum, wie die digitale Welt designt wird und welche Features uns angezeigt werden, wenn wir in einem Kaufprozess sind oder dabei sind, einen Vertrag abzuschließen. Und unsere Untersuchungen zeigen, dass man da ganz schön aufgehalten werden kann. Z.B. wenn man kündigen möchte. Das ist unglaublich kompliziert, da zu wissen, wo man das tun kann. Man wird subtil manipuliert, indem eben suggeriert wird, dass es eine Knappheit des Guts gibt, was man sich gerade anschaut, indem man sagt, es gibt nur noch so und so viel Stück auf Lager oder so und so viel andere potenzielle Käuferinnen und Käufer schauen sich das gerade an.
Es gibt sehr viel süchtig machende Aufbereitung und Designs, wo man immer weiterschaut und immer, immer weiter und man will wirklich ans Ende der Liste kommen und es geht aber immer, immer weiter und man verbringt sehr viel mehr Zeit dann auf diesen Webseiten und Plattformen, als man eigentlich ursprünglich mal wollte. Und damit bezahlt man ja auch ein Stück weit mit seiner Aufmerksamkeit und seiner Zeit. Das ist für die Unternehmen interessant. Die haben nämlich höhere Werbeerträge. Es wird einem ja auch immer Werbung angezeigt. Wir möchten, dass das grundsätzlich unterbunden wird, indem ein Prinzip eingeführt wird – wir nennen das Fairness by Design und by Default, also als Standardeinstellung. Als Standardeinstellung soll mir keine personalisierte Auswahl angezeigt werden, die möglicherweise nicht meinen Vorstellungen entspricht. Ich soll das manuell einstellen können, aber grundsätzlich soll es erst mal fair und transparent sein.
Und auch das Design soll nicht manipulativ sein. Also eben nicht diese ganzen Spielchen, die ich gerade genannt habe. Das ist mal so eine Grundforderung, die wir uns da vorstellen.
Frage: Dann noch zum zweiten Thema mit den Bahnreisen. Gehen Sie doch ruhig nochmal detaillierter auch darauf ein, was da eigentlich die Ist-Situation ist und wie sich das auch ändern könnte oder sollte?
Wir haben auf europäischer Ebene Fahrgastrechte für alle Transportmodi. Das weiß man ganz häufig nicht. Also, bekannt sind sicherlich die Fluggastrechte, wenn man fliegt, die Bahngastrechte, wenn man mit dem Zug fährt. Aber es gibt auch Fahrgastrechte für den Fernbusverkehr und für den Schiffs und Fährenverkehr. So, das nutzen wir vielleicht einfach als Deutsche nicht so häufig. Es gibt nicht so viele Fähren.
Und zwei Themen werden in diesen nächsten Jahren auf jeden Fall virulent. Das eine sind die Fluggastrechte. Es gibt einen Vorschlag der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2013, der ist schon etwas gereift, der hing ganz lange fest bei den Mitgliedsstaaten. Die konnten sich auf keine Position einigen und dann hat man das eingefroren. Und in der Zwischenzeit gab es mehrere Airline-Insolvenzen, in der Zwischenzeit gab es die Covid-Pandemie. Es ist eine Menge passiert und die Fluggastrechte sind eigentlich stark überarbeitungsbedürftig. Es gab vor allem sehr, sehr viele Urteile des Europäischen Gerichtshofs, der die unbestimmten Regelungen ausgelegt hat. Zum Beispiel Was ist eigentlich höhere Gewalt? Ist ein Streik des Flugpersonals, höhere Gewalt?
Warum ist das relevant? Es gibt eine Klausel in diesen Fluggastrechten aktuell, die sagt, bei höherer Gewalt sind die Fluglinien nicht verpflichtet, die Entschädigungszahlung an die Passagiere zu zahlen, die normalerweise vorgesehen sind für Verspätungen. Das ist eine riesige Lücke. Das ist sehr unbefriedigend. Damit sind Verbraucher*innen immer wieder konfrontiert. Das will man jetzt auch reformieren. Das ist grundsätzlich gut. Das Problem ist, dass der Vorschlag der Europäischen Kommission, die aktuellen Fluggastrechte abschwächt. Das ist natürlich keine zufriedenstellende Situation. Und der Vorschlag wurde jetzt auch nicht aktualisiert. Das ist immer noch der Vorschlag von 2013. Da sind natürlich viele Probleme, die wir in der Covid-Pandemie gesehen haben, noch gar nicht mitgedacht. Da werden wir viel Arbeit reinstecken müssen, damit die Fluggastrechte besser werden und nicht schlechter.
Das andere ist ein eher neueres Projekt tatsächlich die Bahngastrechte. Die wurden erst 2017 so ein bisschen reformiert auf europäischer Ebene. Aber aus Reisegastsicht war das nicht zufriedenstellend. Die größte Lücke, die wir im Moment haben, ist die Frage nach verpassten Anschlüssen, wenn man nicht mit einem Transportunternehmen reist. Also wenn ich in Deutschland nur mit der Deutschen Bahn reise und ich verpasse meinen Anschluss, dann kann ich einfach den nächsten Zug nehmen. Das funktioniert international aber tatsächlich nicht. Dieses Recht habe ich nicht.
Wenn ich dann zum Beispiel mit dem ICE nach Frankreich fahre und dort noch einen französischen Anschlusszug nehmen möchte. Und dann sitzt man ganz häufig vor der Situation, dass man sich ein neues Zugticket kaufen muss am Schalter, am Tag der Abreise zum Höchstpreis. Das ist nicht im Sinne des Erfinders aus unserer Sicht. Und das hängt auch damit zusammen, dass man kein durchgehendes Ticket, also keine durchgehende Fahrkarte kaufen kann im grenzüberschreitenden Verkehr oder wenn, dann nur in den seltensten Fällen. Und wenn man dieses Zugticket nicht erwerben kann, dann hat man auch keine Garantie, dass man einfach den nächsten Zug nehmen darf bei Verspätungen.
Und genau an diesem Problem setzt die Europäische Kommission jetzt an, dass sie sagt: Es muss möglich sein, diese Tickets durchzubuchen in einem Buchungsvorgang, und zwar auch an einer Stelle im Internet oder meinetwegen auch am Schalter. Aber nicht, dass man sich auf verschiedenen Buchungsplattformen die Tickets zusammensuchen muss. Das muss in Zukunft möglich sein. Und damit muss eben auch gewährleistet werden – egal wie viele verschiedene Transportunternehmen man dann eben nutzen muss im Bahnbereich -, dass man dann auch immer eine Anschlussgarantie bekommt. Das hat ein Stück weit auch mit der Liberalisierung zu tun, die jetzt stärker im Bahnsektor auch aufschlägt. Also in Deutschland ist natürlich noch der Löwenanteil bei der Deutschen Bahn, aber es gibt zunehmend Wettbewerber, zum Teil auch regionale Wettbewerber. Und in anderen Ländern ist das schon sehr viel stärker ausgeprägt, so dass man da eben auch schauen muss, wie bleibt denn unser Bahnsystem insgesamt kompatibel und wie machen wir daraus auch einen Binnenmarkt für Passagiere?
Ja, das ist stark historisch bedingt. Der Schienenmarkt oder der Bahnmarkt ist ein sehr spezieller Sektor, der ja aus nationalen Monopolen entstanden ist. Und der immer noch nicht vollständig liberalisiert ist. Wir sehen auch weiterhin viele der historischen Akteure, also der historischen Eisenbahnverkehrsunternehmen, die noch in staatlicher Hand sind. Auch die Deutsche Bahn gehört ja zu 100 % dem deutschen Staat. Und damit sind dann immer unterschiedliche Interessen vermengt, was die Profitabilität angeht oder eben vielleicht auch das öffentliche Interesse an einer funktionierenden Dienstleistung. Das ist so ein bisschen die Diskrepanz, die man hier hat. Und da sind sich nicht alle Mitgliedsstaaten einig.
Was hinzukommt, ist eine Dienstleistung, die netzwerkgebunden ist. Das Netzwerk Schiene ist sehr, sehr teuer, sehr investitions- und wartungsintensiv und es ist nicht überall gleich genormt. Wir haben noch unterschiedliche Schienenbreiten, wir haben noch unterschiedliche Stromstärken bei den Abnehmern. Das bedeutet, nicht alle Züge können überall in der Europäischen Union fahren. Man braucht spezielle Züge für grenzüberschreitenden Verkehr. All das sind Hürden auch tatsächlich für einen guten und frei fließenden internationalen Verkehr. Und die Interessenlage bei den Tickets ist durchaus interessant, denn wenn man es historisch beobachtet, haben die früheren Staatsmonopolisten besser zusammengearbeitet. Das war in den 60er Jahren leichter durchgehende Tickets ins Nachbarland zu bekommen, als das heute der Fall ist. Da wurde der Markt auch so ein bisschen klein gehackt, sag ich mal.
Wir haben viel Hoffnung. Ursula von der Leyen hat in ihren politischen Leitlinien einen sehr starken Arbeitsauftrag an ihren Kommissar und an ihre Dienste erteilt. Und da kann eigentlich nur was Gutes dabei rauskommen.
Frage: Vielleicht nochmal auf aktuellere Sachen, die jetzt gerade umgesetzt wurde. Also ich denke da zum Beispiel an die schnelle Sofortüberweisung. Auch da wird ja dann immer wieder gesagt, dass das alles viel zu lange gedauert hat.
Tatsächlich gibt es noch so ein bisschen eine unterschiedliche Behandlung von Banken und Bankendienstleistungen und anderen Zahlungsmitteln und Zahlungsdienstleistern.
Das ist auch nicht ganz trivial. Möglicherweise waren einige andere Zahlungsdienstleister wie Paypal, das gibt es ja auch sehr viele andere, die waren dann vielleicht immer schneller. Aber das Problem ist, dass das auch nicht ganz gleichzusetzen ist. Viele Verbraucherinnen und Verbraucher wissen gar nicht, dass die Datennutzungsvereinbarungen, die sie mit Paypal zum Beispiel und anderen eingehen, sehr viel großzügiger sind. Paypal verarbeitet sehr viel mehr personenbezogene Daten, als dass eine Bank tun kann und tun darf bei einer Überweisung. Diese Daten werden natürlich auch an Dritte häufig weitergegeben. Die werden verarbeitet zu Profilen. Die fließen dann wieder in Kreditwürdigkeitsprüfungen mit ein. Es ist nicht ganz ohne und die Gleichbehandlung ist da halt noch nicht notwendigerweise gegeben.
Das ist unter anderem ein Grund, warum der VZBV sich für einen digitalen Euro einsetzt. Also das ist ja auch ein größeres Projekt der Europäischen Union, neben dem Bargeld der Europäischen Zentralbank auch ein digitales Pendant zu schaffen. Ist technisch jetzt in der Tat nicht ganz trivial, aber würde sehr viele Vorteile bieten, auch im Vergleich zu den vielen privaten digitalen Zahlungsdienstleistern, die wir auf dem Markt sehen.
Im Moment, wenn Sie nicht mit Bargeld zahlen, zahlen Sie ganz häufig mit Karte. Das ist einfach noch eines der beliebtesten und verbreitetsten Zahlungsmittel. Aber damit das funktioniert, auch gerade damit es europaweit funktioniert, sind wir alle angewiesen auf entweder Visa oder Mastercard und das Zahlungssystem, was dahinter steht. Es ist ein privates Zahlungssystem, ein kommerzielles und das ist gar nicht so billig insgesamt. Wir merken das nicht unmittelbar, weil wir es als Verbraucherinnen jetzt nicht zahlen. Aber die Händler zahlen das natürlich und für die Banken ist es lukrativ, die bekommen dafür nämlich auch Geld.
Aber der Vorteil von einem staatlichen digitalen Zahlungsmittel wäre einerseits, dass es sehr viel inklusiver wäre. Denn nicht jeder bekommt ja eine Visa-Card. Aber einen digitalen Euro, das wäre viel inklusiver, auf den hätte jeder ein Recht, so wie Bargeld. Man könnte das digitale Zahlungsmittel auch offline ausgestalten, also in bestimmten Betragsgrenzen, dass man das zum Beispiel von Lesegerät zu Lesegerät oder von Handy zu Handy, dass man Zahlungen durchführen kann, auch ohne Internetverbindung. Das könnten die Vorteile sein, aber auch, dass man einfach sehr viel weniger begrenzt ist. Wer darf daran teilnehmen, zu welchen Zwecken? Es könnte sehr viel anonymer ausgestaltet werden.
Da ist der Vorschlag der Europäischen Kommission in der Tat noch ausbaufähig an der Stelle, aber es könnte eben sehr viel anonymer ausgestaltet werden als das, was im Moment mit den kommerziellen digitalen Zahlungsmöglichkeiten verfügbar ist. Es ist für uns auch eine Frage der Resilienz und der europäischen Autonomie, dass man sich nicht abhängig macht von Dienstleistern aus Drittstaaten, in dem Fall jetzt von den USA. Aber wer weiß, es gibt ja auch noch andere Wirtschaftsmächte auf dieser Welt, die sehr stark auch in den europäischen Markt drängen.
Deswegen diese Anpassung von wie lange dauert das denn jetzt eigentlich bis zu einer Echtzeitüberweisung mal gleichgestellt wird mit einer normalen Überweisung, hat viele regulatorische Gründe, hat aber auch immer den Grund, dass man allen Akteuren am Markt, in dem Fall jetzt den Banken, auch nicht über Nacht alle Änderungen aufs Auge drücken möchte, sondern da angemessene Übergangsfristen auch gibt. Damit sie das sauber implementieren können. Der Vorteil von langen Übergangsfristen ist natürlich immer die Hoffnung, dass es dann auch wirklich sofort funktioniert und nicht so Schwierigkeiten kommen wie zum Beispiel mit den Debitkarten in Deutschland.
Das war ein größeres Problem. Der Nachteil von längeren Übergangsfristen ist, dass wir alle mit den Hufen scharren, warum es nicht schneller geht.
Frage: Die schnelle Sofortüberweisung sorgt ja sofort dafür, dass wir Geld sparen. Das wirkt sich sofort auf unser Leben aus. Ist das vielleicht ein positives Beispiel für EU-Regulierung am Ende des Tages?
Da gibt es im Verbraucherschutz eine Menge Positivbeispiele. Also das Widerrufsrecht im Onlinehandel oder im Fernabsatz allgemein, dass wir 14 Tage haben, um uns zu überlegen, ob das, was wir uns nicht im Ladengeschäft anschauen konnten, sondern nur online, ob wir das wirklich haben wollen, ob das wirklich unseren Erwartungen entspricht und dass wir es eben auch ohne Angabe von Gründen sonst zurückgeben und zurücksenden können. Ich glaube, wir brauchen nicht lange über das Roaming im Mobilfunkbereich zu sprechen. Das haben Verbraucherinnen und Verbraucher so schnell angenommen und als völlig gottgegeben quasi schon in die Nutzung übernommen. Da fragt man sich, wie man früher ohne klargekommen ist. Aber es hat uns doch zehn Jahre gekostet, alle gemeinsam, alle europäischen Verbraucherorganisationen zusammen. Wir haben gedrückt und gedrängelt und gezogen und gemacht und getan, bis man das mal durchgesetzt hatte, dass die Roaming-Aufschläge tatsächlich abgeschafft werden.
Wir treffen immer wieder auf Widerstand. Es ist nicht für alle Akteure am Markt immer offensichtlich, dass Verbraucherschutz und gute Verbraucherpolitik am Ende auch Werbung ist für die Wirtschaft. Denn Menschen nutzen jetzt ihre Handys viel mehr. Die Datenpakete sind viel größer. Man gibt viel mehr aus als früher sozusagen. Man nutzt die ganzen Dienstleistungen viel mehr und jetzt eben auch grenzüberschreitend. Und mir ist jetzt noch kein Unternehmen bekannt, was am Roaming zugrunde gegangen ist, obwohl das immer wieder vorgetragen wurde.
Also das ist so eine Konstante, mit der wir natürlich auch konfrontiert sind, dass Unternehmen gerne sagen Wenn das reguliert wird, dann ist das das Ende des europäischen Sektors. Ich bin damit jeden Tag konfrontiert von Energie über Telekommunikation hin zum Mobilitätssektor bis Ernährung.
Ja, das ist Teil des politischen Betriebs leider, dass man sich nicht mehr nur auf gesicherte Fakten stützt und auf wissenschaftliche Erkenntnisse, sondern dass jeder mittlerweile so ein bisschen seine eigene Wahrheit hat. Das ist bedauerlich. Natürlich sind ökonomische Zusammenhänge keine Naturwissenschaft. Die lassen sich nicht so gut beobachten wie naturwissenschaftliche Zusammenhänge. Die sind deswegen immer ein bisschen ideologisch.
Die Frage ist am Ende: Wie versteht sich die Europäische Union? Was ist das Selbstverständnis? Bin ich eine Gemeinschaft für die Menschen oder bin ich eine Gemeinschaft für Wirtschaftsakteure und dann die Verbraucher ausgenommen?
Und ich denke, das ist auch ein bisschen die Debatte, die wir jetzt sehr stark führen werden mit der neuen Kommission in dieser neuen Legislaturperiode. Nehmen wir die wirtschaftlichen Sorgen der Menschen im Alltag ernst? Können wir es in irgendeiner Form rechtfertigen, dass Menschen strukturell über den Tisch gezogen werden und benachteiligt werden wirtschaftlich, weil es im Interesse einiger Unternehmen ist? Das ist am Ende die große Frage.
Und es ist bedauerlich, dass viele Wirtschaftszweige ihre eigenen Interessen in den Vordergrund stellen und ein Stück weit die Politik damit erpressen, dass sie sagen: Na ja, sonst gehen ja Arbeitsplätze verloren. Wir werden das jetzt erleben. Wir erleben es ja auch schon. Es vergeht kaum eine Woche, in der keine namentlich gut bekannten Unternehmen in Deutschland nicht ankündigen, Arbeitsplätze in Deutschland abzubauen.
Das ist sicherlich nicht ganz einfach zu handhaben, weder für die Politik noch für die betroffenen Menschen, noch für die betroffenen Unternehmen. Aber auf der anderen Seite gibt es sehr viele Branchen, die dastehen und schon seit fünf Jahren sagen: Wir bekommen keine Fachkräfte. Und ähnliches produzierendes Gewerbe haben, wie zum Beispiel die Automobilindustrie, die produzieren halt was anderes.
Natürlich muss man Menschen umschulen, man muss das überlegen. Aber ich beobachte, dass die Politik sich sehr stark davon unter Druck setzen lässt und dass ihr das ein bisschen den Blick verstellt dafür, welche Interessen die Menschen sonst noch haben außer einem Arbeitsplatz. Und dass der Verlust eines Arbeitsplatzes nicht unbedingt gleichzusetzen ist mit: Ich finde nie wieder einen Arbeitsplatz.
Es ist sehr leicht für Unternehmen zu argumentieren, das kostet mich so und so viel Geld. Das kostet so und so viel Arbeitsplätze und das kostet so und so viel Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Für uns Verbraucherschützer ist es deutlich schwieriger, zu sagen: Es kostet die Person so und so viel Stunden ihrer privaten Zeit, die sie in telefonischen Warteschleifen hängt, bis mal jemand hilft und abnimmt. Es kostet Sie so und so viel E-Mails, bis sie mit dem Kundenservice das Problem ausgebügelt haben. Es kostet sie so und so viel Geld, zum Anwalt zu gehen, um zu klagen wegen 50 Euro hier und 150 Euro dort. Das sind all diese Daten, die man natürlich nur beispielhaft beitragen kann, aber nicht repräsentativ.
Und das führt zu einem Ungleichgewicht, auch in der politischen Debatte. Denn wir wollen seriös arbeiten. Wir hantieren nicht mit Zahlen und Daten, die wir nicht belegen können. Wir können nicht sagen, schlechter Verbraucherschutz kostet so und so viele Arbeitsplätze.
Transparenzhinweis zum Besuch des EU-Parlaments
Und nun zum Schluss mein Transparenzhinweis. Für diese Episode wurde mir ein Reisekostenzuschuss vom EU-Parlament gewährt. Ich habe auch die Services und Radiostudios des EU-Parlaments in Brüssel genutzt. Natürlich wurde kein Einfluss auf meine Berichterstattung genommen.