Salzig, fettig. Ein Hauch von Paprika und Essig liegt in der Luft. An den Rändern hängen die Sobrassadas wie Vorhänge. Lang, kurz, dunkelrot, beigematt. Gebeult, als Stange, in Birnenform. „Wenn ich abends nach Hause komme“, sagt Verkäufer Pedro Amengual, „habe ich im wahrsten Sinne die Nase voll von dieser Wurst“. Aber Sobrassada ist der Inbegriff mallorquinischer Küche. Und das Colmado Santo Domingo ist berühmt für die Paprikastreichwurst.
Klinikalltag. Julia trägt weiße Latex-Einweghandschuhe, eine Webhaube umfasst ihr braun gelocktes Haar. Der Raum ist weiß gekachelt. Auf einem Tisch aus Metall liegt weißer Darm. Es riecht nach Essig, das tötet jeden Keim. Julia packt den Darm, stülpt ihn über einen Stab. Die Maschine röhrt lauter, hineingequetscht wird das Mark aus Paprika und Schweinehack. Sie bindet das Ende der dicken Wurst mit einer weißen Kordel zu: die Geburtsstunde einer neuen Sobrassada.
Seit über 100 Jahren wird hier produziert, in der Fabrik La Luna in Sóller. Sobrassada ist ein mallorquinisches Heiligtum. Die Wurst aus Schwein und Paprika gibt es in verschiedenen Versionen: scharf, medium und mild. Sie ist grober als eine normale Streichwurst. Kommt sie vom schwarzen Mallorcaschwein, ist der Geschmack von Johannesbrotbaum und Eichel dominant, die groben Stücke gleichen eher Schinken als Fett und zergehen trotz der stärkeren Körnung sanft am Gaumen.
630.000 Personen leben ständig auf Mallorca. Und ungefähr 60.000 Schweine. Auf der speziellen Touristen-Inselkarte für kulinarische Betriebe sind acht Manufakturen für Sobrassadas verzeichnet. Etwa 2,5 Millionen Kilo Sobrassada werden insgesamt im Jahr verkauft, 38 mallorquinische Betriebe sind offiziell als Produktionsstätten eingetragen. So ist die weiche Paprikawurst nicht nur Sinnbild echter Inselidentität, sondern ein Wirtschaftsfaktor, wenn auch nicht so wichtig wie die jährlich acht Millionen Inseltouristen. Und gleich ein weiteres Inselheiligtum ist untrennbar mit der Sobrassada verbunden: das schwarze Schwein. Es kommt ursprünglich aus Sizilien, ist aber schon seit mehreren hundert Jahren eines der Wahrzeichen der Insel. Das Fleisch hat einen wilderen Charakter und wesentlich längere Haltbarkeit als das der weißen Verwandten, es ist weniger fetthaltig. Und entwickelte sich damit in Wurstform vom ursprünglichen Armeleuteessen zu einer weltweit exportierten Delikatesse.
Schrumpelig ist die Wurst, der Finger drückt eine sichtbare Delle in die weiche Haut. Wenn sie frisch aus der Fabrik kommt, ist sie noch komplett weiß, das rote Mark schimmert nur leicht hindurch. Je älter sie ist, desto besser wird sie. Dann wechselt die Farbe ins Graubraune, Rotschwarze oder Ockerorange. Manchmal wie eine Birne verbogen, manchmal dick wie eine Keule. Und passt damit in keine Norm und auch nicht in die steril-geraden Wurstreihen deutscher Supermarktkühlregale. Doch besiegelt ist ihr Zustand trotzdem: Die Sobrassada wird amtlich kontrolliert nur auf Mallorca hergestellt und erhielt von der EU die Auszeichnung „Besondere Qualität mit Ursprungsbezeichnung“. Acht Euro kostet eine Wurst mit dem Geschmack des normalen Schweins, 16 bis 18 Euro muss der Genießer bezahlen, wenn das Fleisch des schwarzen Schweins verwendet wurde.
Im kleinen Geschäft Colmado Santo Domingo läuft das Geschäft gut, Genießer und Touristen drängeln sich auf fünf Quadratmetern. Und Pedro Amengual steht hinter dem winzigen Tresen ganz am Ende und zupft sich die Nase. „Wenn ich Sobrassada dann doch esse“, sagt er, „dann natürlich die vom schwarzen Schwein“. Aber eigentlich hat er abends genug vom Salz, vom Essig und vom Paprika, von dem Geruch, der wie ein Schleier über dem Vorhang aus Sobrassadas hängt.
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