Die Kokerei Zollverein, illuminiert bei Nacht.
Die Kokerei Zollverein, illuminiert bei Nacht. - Foto: Jörg Stroisch

Auf den nächtlichen Spuren mystischer Dinosaurier der Montanindustrie

Tag und Nacht laufen die Zechen, Hochöfen, Kokereien und chemische Betriebe im Ruhrgebiet. Allerdings wird das immer mehr zur Historie. Daran, dass im Ruhrgebiet einst 1000 Feuer loderten, der Eisenabstich in den Hochöfen das Firmament auch mitten in der Nacht dunkelrot färbte, erinnert deshalb eine große Anzahl an Industriedenkmälern und Abraumhalden mit ihren Illuminationen.

Tag und Nacht laufen die Zechen, Hochöfen, Kokereien und chemische Betriebe im Ruhrgebiet. Allerdings wird das immer mehr zur Historie. Daran, dass im Ruhrgebiet einst 1000 Feuer loderten, der Eisenabstich in den Hochöfen das Firmament auch mitten in der Nacht dunkelrot färbte, erinnert deshalb eine große Anzahl an Industriedenkmälern und Abraumhalden mit ihren Illuminationen.

00:0009:24

„Glück auf, Glück auf, der Steiger kommt.
Und er hat sein helles Licht bei der Nacht,
Und er hat sein helles Licht bei der Nacht,
schon angezündt“
schon angezündt“

Bei Nacht fahren die Bergleute in das Bergwerk. Und nicht nur dort: Rund um die Uhr wurde an vielen Orten im Ruhrgebiet gearbeitet. Fünf Millionen Menschen leben im „Ruhrpott“, auf einer Fläche von über 4.400 Quadratkilometern. Die Industrietradition wird aber immer mehr zur Geschichte, viele der alten Industrieanlagen zu aufregenden Denkmälern. Und oft erinnern sie auch ganz bewusst an die vielen Nachtschichten. Wie etwa beim stillgelegten Hüttenwerk Duisburg-Meiderich, dem heutigen Landschaftspark Nord in Duisburg.

„Das Krokodil war die einzige Erzverladebrücke der Bunkeranlage vor den Hochöfen. Und hatte die Aufgabe im täglichen Betrieb, die Eisenerze zum Beispiel umzuschlagen in der Anlage. Und der Name Krokodil kommt einfach aus der giftiggrünen Beleuchtung des Krans in der heutigen Zeit durch Jonathan Park.“

sagt Andreas Matthes, Führer vom Landschaftspark.

In grünes Licht getaucht, thront dieser Krokodilskopf 20 Meter über dem Boden. Ein dunkler Gittersteg sieht aus, wie der Mund des Krokodils. Die horizontalen Stahlpfeiler werden immer wieder im Zickzack von den Querverstrebungen durchbrochen. Gleich hinter den vermeintlichen Augen des industriellen Ungetüms befinden sich die ehemaligen Hochöfen des Thyssen-Hüttenwerkes Duisburg-Meiderich. Bis zu 1000 Tonnen Eisen wurden hier täglich hergestellt. Und immer, wenn der Hochofen dann unten angestochen wurde, damit das flüssige Eisen und die Schlacke entweichen konnte, war es nicht nur besonders heiß am Fuß. Dann erstrahlte auch der Nachthimmel in einem dunklen Rot.

1986 war dann Schluss für Duisburg-Meiderich. Aber seit 1996 gibt es eine Lichtinstallation des britischen Künstlers Jonathan Park – der bereits Bühnenshows der Rolling Stones illuminierte: So tauchen jeden Abend mit Beginn der Dämmerung blaue, rote, weiße und grüne Lichtspiele die alte Fabrikanlage in eine mystisch-verwunschene Atmosphäre.

Ortswechsel: die Wipperhalle der Zeche Zollverein in Essen, über die Autobahn nur ein paar Minuten vom grünen Krokodil entfernt. Günter Stoppa trägt eine dicke, weiße Arbeitsjacke mit einer großen Knopfreihe, auf dem Kopf den weißen Bauhelm. Es ist „Steigerführung“ auf Zeche Zollverein, die immer mit der „Nachtschicht“ beginnt. Doch die Halle, wo einst Tag und Nacht die Kohleloren krachten, erstrahlt besenrein im Neonlicht. Das Getöse kommt nämlich vom Band. Bauhaus-Stil, UNESCO-Weltkulturerbe, ehemals größte Zeche der Welt: Mit Superlativen braucht der 81-Jährige nicht zu geizen, wenn er mit seiner Besuchergruppe zur „Maloche“ geht, also zur Arbeit:

„Zollverein war für diese Region eigentlich ein Leuchtturm, könnte man sagen. Dieser Standort Zollverein hat die Vororte Schonebeck, Stoppenberg und Katernberg geprägt, weil die meisten Leute, die hier wohnen, waren auf Zollverein beschäftigt. Und die hatten dann hier auch die Familienangehörigen. Man hat hier miteinander Sport getrieben, in Sportvereinen. Zollverein war hier eigentlich hier ein Mittelpunkt vom Bergbau her.“ 

Die Zeche wurde von den Architekten Fritz Schupp und Martin Kremer erbaut, streng symmetrisch. So gibt es am Eingang zwei Wärterhäuschen, obwohl nur eines notwendig gewesen wäre. Und auf der Energieachse werden die Laternenpfahle zwischendurch kürzer und bilden die perfekt-symmetrische Verlängerung zum Kesselhaus zu bilden. Und am äußeren Ende taucht die Zechenanlage in die dunkle Nacht und die rot bestrahlten, 65 Meter hohen Kamine der Kokerei Zollverein, erscheinen am Horizont.

„Ja, wir stehen jetzt hier im Kamin. Der Kamin ist über 100 Meter hoch. Im Durchmesser sechs Meter, oben noch drei Meter. Mit Windgeschwindigkeiten von über 100 Stundenkilometer schossen dann hier die Abgase und die Abluft der Beheizung in den Kamin rein. Sie hören, es hallt hier sehr schön. 100 Meter hoch.“

Die Kokerei Zollverein befindet sich nur ein Förderband entfernt von der Zeche Zollverein. Kokereien sind das Bindeglied zwischen der Kohle und dem Stahl: Denn um Eisen einzuschmelzen, sind enorme Temperaturen notwendig. Und nur die Kokskohle bietet diese Energie und gleichzeitig eine Beständigkeit im Hochofen. Dazu wird die Steinkohle mehrere Stunden in Öfen gegart, verwandelt sich in diesem Prozess in 98-prozentigen Kohlenstoff. Auch die Kokerei ist bei Nacht illuminiert. Der ehemalige Maschinensteiger Friedhelm Baumgarten erzählt davon:

„Wir stehen hier vor den Öfen der Kokerei, die nachts mit einer Lichtinstallation rot beleuchtet sind. Das symbolisiert das Feuer. Weil eben unter eben großer Hitzenahme und unter – mit Feuer aus über 1000 Grad hier aus Kohle Koks gemacht wurde. Diese ganzen Batterien, oder diese ganzen Öfen – das sind 304, über 600 Meter lang. Sie können um diese ganze Kokerei herumlaufen. Der Weg ist über zwei Kilometer. Sie können also die ganze Industriekultur hier, oder Industrieanlage, besichtigen.“

Wie Watte bedeckt die Nacht diesen stolzen Industriedinosaurier, fast auch ein bisschen resignativ. Der hat 1993 seine ursprüngliche Bestimmung verloren An allen Orten im Ruhrgebiet verschwinden die alten Berufe für immer. Noch gibt es drei Bergwerke, 2018 wird dann das letzte geschlossen. Die großen Stahlwerke und auch ein paar Kokereien werden wohl überleben.

Allerdings: Die Gebirge des Ruhrgebiets, die künstlichen Abraumhalden, bleiben für die Ewigkeit – und sind oft mit Lichtkunst verziert. Für die ehemaligen Bergarbeiter ist dieser Wandel schwer, sagt der 63-jährige Betriebsschlosser Johannes Wilde:

„Drei Jahre Lehrzeit. Nach der Lehrzeit wurde ich nach Untertage verlegt und dann war ich da 34 Jahre unter Tage bis zur Stilllegung auf dem Bergwerk Hugo beschäftigt. Wie gesagt, im Jahre 2000 wurde das Bergwerk stillgelegt. Ich konnte in den Vorruhestand gehen. Und war natürlich in den ersten drei, vier Wochen, war ich froh, dass ich meine Ruhe hatte. Also nach vier Wochen bin ich dann etwas unruhig geworden. Und dann bin ich dann immer Spazieren gegangen, auf die Halde hoch. Und habe mir dann von oben unser Bergwerk beguckt. Und dann ist mir so ein bisschen – muss ich ehrlich sagen – ist mir ein bisschen komisch geworden. Wenn man 34 Jahre praktisch unter der Oberfläche gearbeitet hat und auf einmal oben auf dem Berg sitzt. Dann war das doch schon komisch, ja.“

Und dieser Berg, die Halde Hugo, ist heute bei Nacht verziert mit Lichtkegeln, die treffen sich hoch in der Luft, dort, wo für den künstlichen Berg mal der Gipfel geplant war. Johannes Wilde war sein komplettes Arbeitsleben lang auf der Zeche Hugo in Gelsenkirchen beschäftigt. Die steht in Gelsenkirchen und ist nur ein paar Autominuten von der Zeche Zollverein in Essen entfernt. 2000 wurde die Zeche nach 125 Jahren Förderung geschlossen. Es arbeiteten hier mal bis zu 5000 Bergleute. Heute führt der ehemalige Bergarbeiter Johannes Wilde bei Nacht Gäste herum, ausgestattet mit echten Grubenlampen. An die Zeche erinnert noch ihr Fördergerüst, viel wurde abgerissen. Und eben auch die Abraumhalde Hugo.

Diese künstlichen Berge des Ruhrgebiets sind in die Höhe geschossen durch die Schlacke der Hochöfen oder durch das sogenannte taube Gestein der Zechen. Und sie bilden heute sogenannte Landmarken im Ruhrgebiet. Das Tetraeder in Bottrop beispielsweise wird durch eine beleuchtete Pyramide verziert, mit direktem Blick auf eine noch arbeitende Kokerei. Und das Tiger&Turtle in Duisburg ist eine begehbare Achterbahn. Durch deren Ringe lässt sich das zweitgrößte Stahlwerk des Ruhrgebiets, die Hüttenwerke Krupp-Mannesmann

Auch dank der einfallsreichen Lichtinstallationen haben die alten Industrieanlagen in der Gegenwart eine neue Bedeutung gefunden: Bei Tag und Nacht werden sie verehrt, wie anderenorts nur Kirchen und Schlösser – nicht nur von den ehemaligen Arbeitern.

„Schon angezündt!“ Das gibt ein Schein,
und damit so fahren wir bei der Nacht,
und damit so fahren wir bei der Nacht,
ins Bergwerk ein
ins Bergwerk ein.

Und kehr ich heim, zur liebsten Mein,
dann erschallet des Bergmanns Gruß bei der Nacht, 
dann erschallet des Bergmanns Gruß bei der Nacht,
Glück auf, Glück auf!
Glück auf, Glück auf!“

Zur Information:
Jörg Stroisch arbeitet für den Deutschlandfunk regelmäßig als Autor von Hörfunkbeiträgen sowie als Onlineredakteur in der Onlineredaktion.

<< Ein Beitrag für die DLF-Sendung „Sonntagsspaziergang“ >>