Die Überschwemmungen machen viele Menschen verzweifelt.
Die Überschwemmungen machen viele Menschen verzweifelt. - Foto: Rico Löb/stock.adobe.com

Eine verschlammte rote Quietscheente als Mahnmal

Andrea Zöller erlebte traumatisches in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021: Nur mit Not konnte sie sich zusammen mit ihrem Mann und Sohn zur Evakuierungsstelle im kleinen Ort Heimerzheim retten. Dieses Trauma zu verarbeiten, dabei unterstützt sie seit Wochen eine mobile Fluthelferin des Diakonischen Werks Bonn und Region, deren Stelle aus Spendengeldern für die Diakonie Katastrophenhilfe finanziert wird.

Dieser Artikel ist in angepasster Form auf der Website der Diakonie Katastrophenhilfe veröffentlicht worden: https://www.diakonie-katastrophenhilfe.de/projekte/flutkatastrophe-2021/update/wortfindungsstoerungen-sind-ein-typisches-zeichen

Vorne an der Tür steht sie: Eine kleine, rote Quietscheente, verziert mit dem Logo von Bayern München. Und sie ist noch so verschlammt, wie direkt nach der Überschwemmungsnacht vom 14. auf den 15. Juli 2021, als hier in der Quellenstraße in Heimerzheim ganze Häuser in der Flut verschwanden. „Ganz bewusst“, sagt Andrea Zöller, 49 Jahre alt, „denn der Schlamm soll uns daran erinnern, was in dieser Nacht geschah.“ Als nämlich ihr Leben und das ihrer Familie eine dramatische Wendung nahm. Als der Keller komplett absoff und ihr oben an der obersten Stufe, kurz vor dem Erdgeschoss, diese rote Quietscheente entgegenschwamm. Als die Familie sich in ihr altes, geliebtes Auto setzte, durch Wassermassen fuhr bis zum Evakuierungspunkt. Und das Auto danach zerstört war. So dramatisch, dass Zöller eine posttraumatische Belastungsstörung erlitt. So dramatisch, dass sie nur langsam wieder zu ihrer alten Form zurückfindet.

Mobile Fluthelferteams der Diakonie helfen

Und für Elke Feuser-Kohler ist Andrea Zöller eine allererste Begegnung mit traumatisierten Flutbetroffenen. Gleich am Anfang ihrer Anstellung als mobile Fluthelferin des Diakonischen Werkes Bonn und Region ging sie in der Quellenstraße von Haustür zu Haustür und bot Hilfe an. „Aber Sie kommen wieder“, bat da Andrea Zöller. „Und seitdem bin ich hier einmal in der Woche zu Besuch.“ Feuser-Kohler ist ausgebildete Trauma-Pädagogin und im Rahmen der mobilen Fluthelferteams, die derzeit überall in den Überschwemmungsgebieten entstehen und aus Spendengeldern für die Diakonie Katastrophenhilfe bezahlt werden, für die psychosoziale Betreuung zuständig.

Insgesamt vier Vollzeitstellen werden im Einflussgebiet des Diakonischen Werks Bonn und Region, zu dem auch das schwer von der Überschwemmung betroffene Heimerzheim gehört, geschaffen. „Damit gibt es dann ein langfristiges Angebot für die Betroffenen“, sagt so Marion Schaefer, Geschäftsleitung Diakonisches Werk Bonn und Region. Denn die Stellen sind auf mindestens zwei Jahre angelegt. „Geholfen wird mit Sozialarbeitern, einer psychosozialen Betreuung und im Bedarfsfalle auch Bausachverständigen“, so Schaefer. „Es ist wichtig, dass die Menschen in den Überschwemmungsgebieten professionelle Hilfen direkt vor Ort erhalten.“ Wie hier in der Region entstehen überall in den Überschwemmungsgebieten weitere solcher Teams, die alle aus Spendengeldern für die Diakonie Katastrophenhilfe bezahlt werden.

Das Ringen nach Worten

Wochenlang vergrub sich Andrea Zöller in ihren Erinnerungen, war antriebs- und auch kampflos. „Normalerweise kämpfe ich für meine Rechte“, sagt sie. „Ich bin da eigentlich wie ein Kampfhund.“ Aber nach der Überschwemmung überforderte sie bereits das Verhandeln mit ihrer Elementarschadensversicherung, die eigentlich für den kompletten Schaden aufkommen sollte, aber plötzlich auf „Unterversicherung“ erkannte. Oder mit der Deutschen Rentenversicherung, die ihre Erwerbsunfähigkeitsrente – Zöller hat eine Vielzahl von Erkrankungen – nicht anerkannte. Oder die Entlassung durch ihren Arbeitgeber in der Probezeit, einem weltweit bekannten Unternehmen für Diabetesmessgeräte, der nicht einsah, dass durch die Überschwemmung ein Homeoffice – schließlich gab es in Heimerzheim noch nicht einmal mehr Strom – unmöglich ist.

„Ein ganzer Rucksack an Problemen“, skizziert Trauma-Pädagogin Feuser-Kohler. „Und die Überschwemmung ist dann das eine Problem zuviel.“ Erst kippte so Zöllers Mann im Evakuierungszentrum noch in der Flutnacht um, am nächsten Tag dann Andrea Zöller selbst. Und Zöller fand wochenlang nicht die Worte. Auch heute sucht sie noch manchmal nach Begriffen. „Wortfindungsstörungen sind ein typisches Zeichen im Nachgang einer traumatischen Belastung“, so Feuser-Kohler. Direkt nach Flut ist auch das Zimmer des Sohnes unbewohnbar, er muss ausziehen. „Trennung mit der Brechstange“, sagt dazu die Trauma-Pädagogin Feuser-Kohler. „Das kommt dann zu den ohnehin schon vorhandenen Problemen als eine weitere Belastung noch hinzu.“

Es geht wieder bergauf

Aber es geht wieder bergauf mit Andrea Zöller. Ein neues Auto ist gekauft. Unten im Keller liegt bereits der neue Estrich, die Handwerker tapezieren das ehemalige Zimmer des Sohnes. Eine neue Heizungsanlage ist installiert und kann in Betrieb gehen. Auch so geht es Zöller nun deutlich besser. Sie schrieb einen bösen Brief an die Versicherung und prompt zeigte die sich kulant. Ihr Antrag auf Erwerbsunfähigkeit ist durch. Ihr Sohn hat eine neue Wohnung gefunden. Sie beteiligt sich aktiv am Gemeindeleben. „Da hat sich bei ihnen aber in den letzten Tagen ganz viel zum Positiven entwickelt“, sagt Trauma-Pädagogin Feuser-Kohler.

Sie werden sich noch einige Zeit einmal in der Woche treffen, damit die Verarbeitung des Erlebten weitergehen kann. Die rote Quietscheente bleibt so verschlammt wie sie ist, bleibt als Mahnmal für die Überschwemmungsnacht direkt neben dem Hauseingang stehen. Als Erinnerung daran, dass nur eine Nacht einen Menschen aus der Bahn werfen kann.