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Auch in Heimerzheim gab es gewaltige Überschwemmungen.
Auch in Heimerzheim gab es gewaltige Überschwemmungen. - Foto: sunakri/stock.adobe.com

Das Gefühl, an Selbstzweifeln zu ersticken

Hans-Jürgen Schmitz ist Metzger, aber schon seit einiger Zeit berufsunfähig. Zu seiner Depression kommen in der Überschwemmungsnacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 noch traumatische Erlebnisse hinzu. Seine Evakuierung beendet einen stundenlangen verzweifelten Kampf gegen das Wasser. Die psychosoziale Betreuung des diakonischen Fluthelferteams soll ihm nun den Weg in die Normalität ebnen. Finanziert werden die Stellen aus Spendengeldern für die Diakonie Katastrophenhilfe.

Dieser Artikel ist in angepasster Form auf der Website der Diakonie Katastrophenhilfe veröffentlicht worden: https://www.diakonie-katastrophenhilfe.de/projekte/flutkatastrophe-2021/update/im-fokus-psychosoziale-betreuung-im-flutgebiet

„Wir haben stundenlang versucht, das Wasser aufzuhalten“, sagt Hans-Jürgen Schmitz. „Mit einer Mischung aus Pampers und Sand haben wir das Torgatter abgedichtet.“ Und alles dann wieder abgerissen, nachdem das Wasser nicht nur die Straße entlanglief, sondern auch über den Hinterhof, „und so die Sperre für uns zur tödlichen Falle geworden wäre.“

Als er dann das Auto umstellt und zurückkommt und das Wasser innerhalb von einer halben Stunde 50 Zentimeter höher steht, sagte der 55-Jährige zu seiner Frau. „Wir müssen hier weg.“ Aber sie und ihre Kinder kommen nicht mehr hinaus, die Tür zur Straße lässt sich gegen die Wassermassen nicht mehr aufdrücken. Schmitz geht durch die Hintertür, drückt mit aller Kraft die Tür auf.

Nur in einer Shorts bekleidet, alles andere ist bereits durchnässt, watet er mit seiner Familie letztendlich in Richtung Evakuierungsstelle in Heimerzheim. Nachdem sein Kampf gegen die Wassermassen endgültig verloren ist. Das Wasser steigt hier in der Euskirchener Straße in Heimerzheim im Verlauf der Nacht vom 14. auf den 15. Juli noch auf zwei Meter Höhe bis unter die Decke des Erdgeschosses seines alten Fachwerkhauses an, welches er und seine Familie zur Miete bewohnen.

Psychosoziale Betreuung durch die Diakonie

Diese Geschichte erzählt er. Und dem großen, kräftigen Mann stehen bei den Gedanken daran die Tränen in den Augen. Der ehemalige Metzgermeister – er ist wegen einer Depression berufsunfähig – sitzt in seinem mittlerweile wieder neu eingerichteten Wohnzimmer. Die Wand des Fachwerkhauses war schnell trocken, ist frisch tapeziert. Eine neue Couchgarnitur und ein großer Fernseher. Und etwas schmucke Deko im Regal. Schmitz blickt auf ein Zierbild. „Aber das ist nicht das gleiche“, sagt er. Es ist nicht die fast 100 Jahre alte Weihnachtskugel oder das für immer verlorene Fotoalbum. „Die Deko ist eben neu“, beschreibt auch Elke Feuser-Kohler. „Sie ist zwar schön, aber ohne Erinnerungen.“ Feuser-Kohler ist hier zu Besuch. Sie ist Traumapädagogin und wurde beim Diakonischen Werk Bonn und Region für die psychosoziale Betreuung von Flutbetroffenen angestellt.

Ihre Stelle und die ihrer drei Kolleginnen und Kollegen werden komplett aus Spendengeldern finanziert, die die Diakonie Katastrophenhilfe erhalten hat. „Ein wichtiges Engagement“, wie Marion Schaefer, Geschäftsleitung Diakonisches Werk Bonn und Region, skizziert. „Die Menschen in der Region brauchen eine verlässliche und im besten Falle eine ihnen auch vertraute Anlaufstelle.“ Zunächst sind diese speziell geschaffenen Stellen auf zwei Jahre befristet. Direkt vor Ort in den Überschwemmungsgebieten sind die Fluthelfer:innen positioniert, bieten Sprechstunden an und machen eben auch viele Hausbesuche.

Hilfe überforderte die Betroffenen auch

„Das Fremdbestimmte ist für viele Betroffenen sehr schwer zu ertragen“, beschreibt Feuser-Kohler ein typisches Empfinden. Einerseits sei sehr große Dankbarkeit da für die viele Hilfe. Aber den Betroffenen werden auch Entscheidungen abgenommen, gegen ihren Willen. Im Hof von Hans-Jürgen Schmitz steht zum Beispiel ein mächtiger, teurer Mahagoni-Tisch. Gut in Schuss, gute Qualität. „Ich habe da meine Hand drauf gelegt“, so Schmitz, „aber das bin nicht ich.“

Eine Spende war der Tisch, gut gemeint, wie so viele Dinge. Viele haben gesagt, es sei doch schön jetzt alles neu zu bekommen. „Ich habe mir das Neue nicht ausgesucht, ich wollte das nicht.“ Schmitz leidet darunter. „Und wenn dann alles hier in meinem Haus hinterfragt wird, dann springt wieder mein kleiner Teufel auf die Schulter.“ So nennt Schmitz eine Ausprägung seiner Depression: „Dann habe ich mich wieder gefragt, mache ich das richtig.“ Er hat zum Beispiel von Anfang an gesagt: Die Wände sind schnell wieder trocken, das ist Fachwerk. Da dürfen wieder Tapeten dran. Helfer meinten aber, dass lieber alles abgestemmt werden sollte. „Das ist eben meine Depression.“ Und er leidet darunter sichtlich.

Massive Selbstzweifel peinigen den ehemaligen Metzgermeister dann, der so wissend von vielen handwerklichen Dingen erzählt, so genau beschreiben kann, wie man Rosenkohl blanchiert wird und genau weiß, warum der Mais nach der Überschwemmung gut steht, die Kartoffeln aber verfaulen.

Elke Feuser-Kohler besucht ihn einmal in der Woche zuhause, spricht mit ihm, hat für ihn und seine Familie ein offenes Ohr. Und hat ihm eine kleine Merkkarte mitgebracht, die oben im neuen Regal steht. „Ich darf Fehler machen.“ Sein Sohn nimmt nun an einer Freizeitaktion teil. Schmitz selbst freut sich schon darauf, für das Abendessen der Gemeinde, welches jede Woche Dienstag für die Flutbetroffenen ausgerichtet wird, zu kochen. Rosenkohl natürlich, blanchiert.

Langsam sucht er sich zusammen mit seiner Familie und mithilfe der mobilen Fluthelferin den Weg zurück in die Normalität.

Die Überschwemmungen machen viele Menschen verzweifelt.
Die Überschwemmungen machen viele Menschen verzweifelt. - Foto: Rico Löb/stock.adobe.com

Eine verschlammte rote Quietscheente als Mahnmal

Andrea Zöller erlebte traumatisches in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021: Nur mit Not konnte sie sich zusammen mit ihrem Mann und Sohn zur Evakuierungsstelle im kleinen Ort Heimerzheim retten. Dieses Trauma zu verarbeiten, dabei unterstützt sie seit Wochen eine mobile Fluthelferin des Diakonischen Werks Bonn und Region, deren Stelle aus Spendengeldern für die Diakonie Katastrophenhilfe finanziert wird.

Dieser Artikel ist in angepasster Form auf der Website der Diakonie Katastrophenhilfe veröffentlicht worden: https://www.diakonie-katastrophenhilfe.de/projekte/flutkatastrophe-2021/update/wortfindungsstoerungen-sind-ein-typisches-zeichen

Vorne an der Tür steht sie: Eine kleine, rote Quietscheente, verziert mit dem Logo von Bayern München. Und sie ist noch so verschlammt, wie direkt nach der Überschwemmungsnacht vom 14. auf den 15. Juli 2021, als hier in der Quellenstraße in Heimerzheim ganze Häuser in der Flut verschwanden. „Ganz bewusst“, sagt Andrea Zöller, 49 Jahre alt, „denn der Schlamm soll uns daran erinnern, was in dieser Nacht geschah.“ Als nämlich ihr Leben und das ihrer Familie eine dramatische Wendung nahm. Als der Keller komplett absoff und ihr oben an der obersten Stufe, kurz vor dem Erdgeschoss, diese rote Quietscheente entgegenschwamm. Als die Familie sich in ihr altes, geliebtes Auto setzte, durch Wassermassen fuhr bis zum Evakuierungspunkt. Und das Auto danach zerstört war. So dramatisch, dass Zöller eine posttraumatische Belastungsstörung erlitt. So dramatisch, dass sie nur langsam wieder zu ihrer alten Form zurückfindet.

Mobile Fluthelferteams der Diakonie helfen

Und für Elke Feuser-Kohler ist Andrea Zöller eine allererste Begegnung mit traumatisierten Flutbetroffenen. Gleich am Anfang ihrer Anstellung als mobile Fluthelferin des Diakonischen Werkes Bonn und Region ging sie in der Quellenstraße von Haustür zu Haustür und bot Hilfe an. „Aber Sie kommen wieder“, bat da Andrea Zöller. „Und seitdem bin ich hier einmal in der Woche zu Besuch.“ Feuser-Kohler ist ausgebildete Trauma-Pädagogin und im Rahmen der mobilen Fluthelferteams, die derzeit überall in den Überschwemmungsgebieten entstehen und aus Spendengeldern für die Diakonie Katastrophenhilfe bezahlt werden, für die psychosoziale Betreuung zuständig.

Insgesamt vier Vollzeitstellen werden im Einflussgebiet des Diakonischen Werks Bonn und Region, zu dem auch das schwer von der Überschwemmung betroffene Heimerzheim gehört, geschaffen. „Damit gibt es dann ein langfristiges Angebot für die Betroffenen“, sagt so Marion Schaefer, Geschäftsleitung Diakonisches Werk Bonn und Region. Denn die Stellen sind auf mindestens zwei Jahre angelegt. „Geholfen wird mit Sozialarbeitern, einer psychosozialen Betreuung und im Bedarfsfalle auch Bausachverständigen“, so Schaefer. „Es ist wichtig, dass die Menschen in den Überschwemmungsgebieten professionelle Hilfen direkt vor Ort erhalten.“ Wie hier in der Region entstehen überall in den Überschwemmungsgebieten weitere solcher Teams, die alle aus Spendengeldern für die Diakonie Katastrophenhilfe bezahlt werden.

Das Ringen nach Worten

Wochenlang vergrub sich Andrea Zöller in ihren Erinnerungen, war antriebs- und auch kampflos. „Normalerweise kämpfe ich für meine Rechte“, sagt sie. „Ich bin da eigentlich wie ein Kampfhund.“ Aber nach der Überschwemmung überforderte sie bereits das Verhandeln mit ihrer Elementarschadensversicherung, die eigentlich für den kompletten Schaden aufkommen sollte, aber plötzlich auf „Unterversicherung“ erkannte. Oder mit der Deutschen Rentenversicherung, die ihre Erwerbsunfähigkeitsrente – Zöller hat eine Vielzahl von Erkrankungen – nicht anerkannte. Oder die Entlassung durch ihren Arbeitgeber in der Probezeit, einem weltweit bekannten Unternehmen für Diabetesmessgeräte, der nicht einsah, dass durch die Überschwemmung ein Homeoffice – schließlich gab es in Heimerzheim noch nicht einmal mehr Strom – unmöglich ist.

„Ein ganzer Rucksack an Problemen“, skizziert Trauma-Pädagogin Feuser-Kohler. „Und die Überschwemmung ist dann das eine Problem zuviel.“ Erst kippte so Zöllers Mann im Evakuierungszentrum noch in der Flutnacht um, am nächsten Tag dann Andrea Zöller selbst. Und Zöller fand wochenlang nicht die Worte. Auch heute sucht sie noch manchmal nach Begriffen. „Wortfindungsstörungen sind ein typisches Zeichen im Nachgang einer traumatischen Belastung“, so Feuser-Kohler. Direkt nach Flut ist auch das Zimmer des Sohnes unbewohnbar, er muss ausziehen. „Trennung mit der Brechstange“, sagt dazu die Trauma-Pädagogin Feuser-Kohler. „Das kommt dann zu den ohnehin schon vorhandenen Problemen als eine weitere Belastung noch hinzu.“

Es geht wieder bergauf

Aber es geht wieder bergauf mit Andrea Zöller. Ein neues Auto ist gekauft. Unten im Keller liegt bereits der neue Estrich, die Handwerker tapezieren das ehemalige Zimmer des Sohnes. Eine neue Heizungsanlage ist installiert und kann in Betrieb gehen. Auch so geht es Zöller nun deutlich besser. Sie schrieb einen bösen Brief an die Versicherung und prompt zeigte die sich kulant. Ihr Antrag auf Erwerbsunfähigkeit ist durch. Ihr Sohn hat eine neue Wohnung gefunden. Sie beteiligt sich aktiv am Gemeindeleben. „Da hat sich bei ihnen aber in den letzten Tagen ganz viel zum Positiven entwickelt“, sagt Trauma-Pädagogin Feuser-Kohler.

Sie werden sich noch einige Zeit einmal in der Woche treffen, damit die Verarbeitung des Erlebten weitergehen kann. Die rote Quietscheente bleibt so verschlammt wie sie ist, bleibt als Mahnmal für die Überschwemmungsnacht direkt neben dem Hauseingang stehen. Als Erinnerung daran, dass nur eine Nacht einen Menschen aus der Bahn werfen kann.

Blick in die Bibliothek von Heimerzheim, die stark von dem Hochwasser betroffen war.
Blick in die Bibliothek von Heimerzheim, die stark von dem Hochwasser betroffen war. - Foto: Jörg Stroisch

Themen und Texte aus den Hochwassergebieten

Das Journalistenbüro Stroisch erhält Brot für die Welt/Diakonie Katastrophenhilfe als neuen Auftraggeber. Ziel: Die Vor-Ort-Recherche in den Hochwassergebieten.

Eine ganze Region ist vom Extremniederschlag und übertretenden Flüssen betroffen. Am Schnittpunkt zwischen der Soforthilfe für die Betroffene hin zu mittel- und langfristiger Unterstützung wird Jörg Stroisch mit der Recherche und dem Verfassen von Texten und die Organisation von Fotos und Videos für die Diakonie Katastrophenhilfe befristet betraut, insbesondere für die Websites; vor Ort übernimmt er auch die Betreuung von Journalistenteams.

Die Diakonie Katastrophenhilfe setzt auf regionale und lokale Strukturen der Diakonie und der evangelischen Kirchengemeinden vor Ort, um den vom Hochwasser betroffenen Menschen kurzfristig, mittel- und langfristig zu helfen. Die Diakonie Rheinland Westfalen Lippe übernimmt vor Ort die regionale Koordination.