Mordender Klaubautermann und kopfloser Störtebeker

Barfuß springt er aus der Brückennische hervor. „Du schäbige Landratte“, schreit Jakob Pfeiffer. „Du Seegurke.“ Es ist das Jahr 1401. Pfeiffer hat vor ein paar Tagen zugesehen, wie dem berüchtigten Seeräuber Klaus Störtebeker das Scharfrichterschwert das Haupt vom Körper säbelte. Als Zeitzeuge erzählt der Seeräuber nun die schaurige Geschichte von Störtebeker. Eine von vielen Seemannsgeschichten in Hamburg : auf den gruseligen Pfaden von Seeräubern und Schiffsgeistern.

„Elf Männer!“ Ein dicker, goldener Ring hängt Pfeiffer vom linken Ohr herab, mit einem weißem Kopfuch bündelt er seinen Haarschopf. Und die fellgefütterte braune Weste hängt ein wenig zu weit über seinen Schultern. Der Pfad direkt am Ufer der Binnenalster liegt schon im Dämmerlicht. Die Pfeiler der Brücke werfen schwarze Schatten. „Rein zufällig“ spülte eine große Welle den Seeräuber Pfeiffer von Bord, gerade einen Tag vor der Gefangennahme der Seeräuber durch die Hamburger Hanse. „Elf Männer schritt der kopflose Störtebeker nach seiner Hinrichtung auf dem Grasbrook noch ab“, sagt Pfeiffer mit schwankender Stimme und weit nach vorne gebeugt. „Das war das schaurigste Schauspiel, dass ich je erlebt habe!“

Beim „Hamburger Stadtgeflüster“ des Theaters Mignon werden 700 Jahre Hamburger Stadtgeschichte an historischen Orten lebendig. Für zwei Stunden führt der „Schlupwächter“ – der Nachtwächter – Jan Ellerbrock Gäste durch das alte und neue Hamburg und Seeräuber wie Jakob Pfeiffer und andere Stadtpersönlichkeiten, dargestellt von Schauspielern, tauchen plötzlich auf und erzählen an verschiedenen Stationen ihre und Hamburgs Geschichte. Heute ist das Hinrichtungsfeld Störtebekers, der Grasbrook, übrigens als „Großer Grasbrook“ Teil der neuen Hafen-City und der historischen Speicherstadt von Hamburg. An der Stelle, an der Störtebeker seinen Kopf verlor, steht ein Denkmal. Und mitten in dieser Speicherstadt liegt auch das Hamburg Dungeon, eine weitere Station des Gruselns.

Klabautermann in modriger Speicherhalle

„Weiter, nichts anfassen, sonst Kopf ab“, krächzt eine Gestalt mit verfaulten Zähnen. Aschweißes Gesicht, die grauen Haare sind verfilzt. Er schlurft voraus, zieht sein linkes Bein hinterher. Der Vorhang flattert, ein kalter Windzug zieht durch den dunklen, müffelnden Gang. Eine Gruppe von Besuchern folgt langsam in eine Hafenspilunke. Grobes Holz, ein zerbeulter Blechkrug, eine Bierflasche auf dem Kaminsims. In der Mitte steht ein Tisch. Die Wände sind an vielen Stellen vergilbt Es ist dunkel, an einigen Stellen erhellt gelbliches Licht ein Bild oder ein Stück der Wand. „Ein Seemann, macht die Planken sauber“, erzählt die Gestalt mit rasselnder und hektischer Stimme. „Da klopft es, ein mysteriöses Klopfen. Er erzählt den anderen, dass der Klabautermann gerufen hat.“ Die Seemänner lachen ihn aber aus und stechen in See. „Und das Schifft geht in Brand. Nur ein einziger Überlebender geht an Land.“ 

Die Klabautermanngeschichte spielen im Hamburg Dungeon Schauspieler. Rund um Störtebeker, die Pest und eine Jahrhundertflut werden hier eineinhalb Stundenlang gruselige und totbringende Ereignisse rund um Hamburg erzählt. Es müffelt, es zieht, es dämmert, es ist stockduster. Durch enge Flure und verwinkelte Räume laufen die Besuchergruppen und begegnen auch dem sagenumwobenen Schiffsgeist.

Der ist eingezimmert im Schiffsbau. Die in einem Baum gefangene Seele eines grausam ermordeten Kindes findet so der Sage nach eine neue Bestimmung. Als guter Schiffsgeist und mordender Kobold wird der Klaubautermann gleichermaßen beschrieben.

Hilft der gute Schiffsgeist dem tüchtigen Seemann und dichtet sein Schiff, klopft und hämmert an den Schiffsbug, um undichte Stellen oder Untiefen zu zeigen. Der bösartige Kobold führt hingegen mit einem gewissen Gerechtigkeitssinn die verbrecherische und saufende Seemannschaft, die an ihm zweifelt, todsicher in das feuchte Grab, bringt das Schiff zum Untergang. „Das Klopfen und Ächzen, das haben sie ignoriert“, flüstert die Gestalt im Hamburg Dungeon.

Hamburg – eine Attraktion nicht nur im Dämmerlicht

Auch die Rickmer Rickmers ächzt und stöhnt. „Keine Stöckelschuhe“ seht da, „Besteigen der Wanken verboten.“ Besucher posieren am Steuerrad, schlagen die Messingglocke hell. Schiffe warten an verschiedenen Stellen im Hafen für die Besucher. Von der „Cap San Diego“ über das russische U-Boot 434 und dem im Sommer noch verkehrenden Dampfschiffs Schaarnhörn wird hier Seefahrergeschichte nacherzählt. Speicherstadt, Landungsbrücken, Fischmarkt – alleine die verschiedenen Festlandstationen des Hafens füllen locker einen Tagesausflug. Und eine der zahlreich angebotenen Hafenrundfahrten in unterschiedlich großen Kähnen setzen dem Hafen- und Wassererlebnis Hamburg ein Tüpfelchen auf.

Die Stadt bietet auch weit über den Hafen hinaus interessante Akzente für den Besucher: Der Michel, wie die Hamburger ihre Hauptkirche St. Michaelis nennen, ist der höchste begehbare Turm der Stadt und ein Wahrzeichen. Im alternativ angehauchten Schanzenviertel treffen sich hauptsächlich junge Leute in den zahlreichen Cafés und Kneipen. Davon hat auch St. Pauli mehr als genug.

Die roten Backsteinbauten der Speicherstadt mit ihren alten Kontoren und Lagern veweisen auf die lange Hamburger Tradition als immer noch freie und auch überdurchschnittlich reiche Hansestadt. Die reichen Handelsleute, auch „Pfeffersäcke“ genannt, prägen die Stadt seit jeher. Und waren auch schon 1401 ziemlich erzürnt, wenn ihnen jemand die Pfründe abjagte. 

Der kopflose Klaus Störtebeker 

So war es auch nur eine Frage der Zeit, bis sie den existenzbedrohenden Seeräuber Störtebeker zur Strecke brachten. Und in 600 Jahren bildeten sich schaurige Geschichten um diesen Umstand. Als so der äußerst starke und trinkfeste Seeräuber am 21. Oktober 1401 auf dem Hamburger Grasbrook zum Schafott schritt, ließ er sich der Sage nach vom Hamburger Bürgermeister eine Bitte gewähren. Alle Männer, die er noch ohne Kopf abschreiten würde, sollten begnadigt werden.

„Beim elften Mann wurde es dem Henker Meister Rosenfeld zu viel und er stellte dem kopflosen Störtebeker ein Bein“, erzählt der Seeräuber Jakob Pfeiffer des Theaters Mignon im Schein einiger flackernder Kerzen mit bebender Stimme. „Und der Bürgermeister brach sein Versprechen und ließ alle 76 Mitgefangenen köpfen und ihre Häupter auf Pfählen am Hamburger Hafenrand aufspießen.“ Die langen Schatten und das dunkle Wasser der Binnenalster wirken im Dämmerlicht so noch etwas schwärzer und gruseliger – hinter jeder Ecke lauern weitere Schauergeschichten.

Zur Reportage über Hamburg bei Der Standard Für Der Standard schreibt das Journalistenbüro Artikel für das Ressort Reisen.