Kulinarische Reise durch die Pfalz: Die gar nicht so fetten Kinder von Landau

Quelle: canva.com

Der Hörfunkbeitrag zum Nachhören:


Georg Wiedemann: „So, jetzt probiere ich mal. Sehr zum Wohl.“

Was Georg Wiedemann vom Doktorenhof in Venningen in der Pfalz hier probiert, ist kein klassischer Aperitif. Er trinkt nämlich – Essig.

„Sehr gut… Und so etwas trinkt man natürlich auch nicht komplett auf einmal weg, sondern wirklich nur so tropfenweise. Da trinkt man relativ von. Und der Essig bewirkt jetzt wirklich so eine Frische im Mund. Er bewirkt, dass ich Hunger kriege. Dass ich das Essen gut verdauen kann. Und das tut einfach gut. Essig trinken ist einfach etwas Besonderes. Macht nicht jedermann. Und vor allem ist der Essig fast letztlich ohne Alkohol. Das ist ganz, ganz minimal, so wie beim Saften eben. Also eigentlich ohne Alkohol.“

Ein Leben für den Essig

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Georg Wiedemann bietet auf seinem Doktorenhof in Venningen vor allem Essig-Spezialitäten an. Er versendet seine teuren und hochwertigen Essige weltweit.

Eine ungewöhnliche kulinarische Spezialität, die Wiedemann hier aufbietet. Und auch der Auftakt zu einer überraschend-ungewöhnlichen kulinarischen Tour durch die Pfalz. Die ist ja vor allem durch ihr deftiges Essen bekannt. Ein prominenter Pfälzer, der ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl, kokettierte immer wieder damit, dass er die pfälzische Küche sehr mag – und man sah es ihm auch an. Der Latenight-Talker und Satiriker Harald Schmidt nahm diese Genussfreudigkeit in den „Dicken Kindern von Landau“ so auch gehörig aufs Korn.

„Schlechter Wein“ und deftige Küche

Im Raddegaggle, einem Landauer Gasthaus, gibt es ein Gläschen pfälzer Wein, den Raddegiggl. Obwohl: Raddegiggl ist eigentlich ein pfälzisches Schimpfwort und heißt so viel wie „schlechter Wein“, wobei der Wirt niemals schlechten Wein auf seine 30 Sorten umfassenden Karte setzen würde. Der Raddegiggle hat aber eben Tradition in seinem Wirtshaus. Und er ist beileibe nicht schlecht, sondern als Tafelwein gut zu deftiger pfälzischer Küche geeignet – zum Beispiel dem Rumpsteak.

„Mein Lieblingsgericht ist ganz klar das Pfälzer Rumpsteak mit Zwiebeln und Kräuterbutter Pommes und Salat so esse ich das gerne und das ist auch das Essen, was mit am meisten bei uns im Lokal geht.“

Klar, als Wirt und Koch in einer guten pfälzischen Gaststätte ist Heiko Pacyna definitiv eine volle Portion. Aber sind deshalb gleich alle Menschen in der Pfalz wohl gerundet, so, wie es Harald Schmidt in seiner Show immer wieder sagte? Die „dicken Kinder“ von Landau, eben.

Die Tippgeberin für dieses Restaurant ist es definitiv nicht: Für Dagmar Schröer-Hemmler ist die Küche der Pfalz Passion. Die ehemalige Gaststättenbesitzerin veranstaltet Führungen durch die Landauer Wirtshäuser, immer auf der Spur guter und einheimischer Speisen.

„Die Vielfalt, das traditionelle, die typischen Gerichte, die es schon seit Hunderten von Jahren gibt und die immer noch gegessen werden, die ich schon als Kind bei meiner Oma gegessen habe, die dann eine Zeit in Vergessenheit geraten waren und die man heute wieder auf der Karte findet.“

Die pfälzer Küche in Landau

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Sie beschreibt, warum die Speisen der Pfalz aber eher kalorienhaltig sind.

„Man muss ja auch bedenken, dass die Tradition der Speisen aus einer vergangenen Zeit stammen und damals war es ja nicht üblich, drei Mahlzeiten am Tag zu sich zu nehmen, sondern meist abends was Warmes nach der Arbeit und zum Frühstück halt irgendeinen Brei oder dass man trockenes Brot halt in die Flüssigkeit getunkt hat.“

Und aus diesem Grund befindet sich auch eine ganz besondere Frucht auf den Speisekarten der Pfalz: die Kastanie. Sie bot auch den armen Leuten eine reichhaltige Kost. Die Kastanie – in der Pfalz auch Keschde genannt – bringt bei 15 Gramm Eigengewicht immerhin etwa 30 Kalorien auf die Waage – pro Stück. Zum Vergleich: Bei einer Kartoffel wäre es bei gleichem Gewicht weniger als die Hälfte.

Die Kastanienprinzessin

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Daniela Töpfer sieht man das allerdings gar nicht an. Sie residiert in Ahnweiler am Trifels offiziell als Keschde-Königin Daniela I. – und ist damit die einzige Majestät weltweit, die über ein Volk von Esskastanien herrscht.

Daniela ist 24 Jahre alt und vielleicht 1,70 Meter groß. Nach dem Gewicht fragt der Gentleman natürlich nicht, aber wenn man gewisse Ableitungen von Statue und Größe führt, wiegt sie sicherlich nicht mehr als zwei Eimer der von ihr repräsentierten Esskastanie. Also definitiv keine Vertreterin der dicken Kinder von Landau.

„Also hier sieht man jetzt einen typischen Kastanienbaum wie der Pfälzer sagt. Eine relativ graue Rinde. Die Kastanienbäume haben ziemlich viele Vitamine. Also auch ein wetterbeständiges Holz. Wenn man sich jetzt hier vorne sich die Blätter anschaut, sieht man richtig schön, das sie einzeln herauskommen und das sie schön gezahnt sind, hier gezackt. Ist entgegen wie viele Leute denken nicht mit der Ostkastanie verwand, sondern eher mit einer Buche oder mit einer Eiche. Hier sieht man einen Kastanienbaum, der einen relativ krummen Stamm hat. Wenn man jetzt wie früher die Winzer einen Zaunpfahl von dem Kastanienbaum herstellen möchte, muss man natürlich schauen das sie gerade wachsen, das sie nicht hier wie im Wildwuchs, sondern wirklich Licht von allen Seiten bekommt.“

Für die Esskastanien ist die Region berühmt, wie die Kastanienprinzessin schildert: Ein eigener Wanderweg, der Keschdeweg, führt so von Hauenstein bis Neustadt an der Weinstraße. Im Juni blühen die Keschde. Ein modrig-süßer Geruch liegt dann rund um die Bäume in der Luft. Das behagt nicht jedem. Aber für Erwin Unger ist das kein Hindernis, im Gegenteil. Er begibt sich auf lange Wanderungen, um die Zutat für seinen selbst entwickelten Sirup zu sammeln, der einen halbtrockenen Spätburgunder versüßt – den „Pinot Castanea“.

Kastanien, Kastanien, Kastanien

Außerdem gibt es Kastanienkuchen, Kastanienhonig, natürlich Kastanienessig. Und: Kastaniensaumangen. Gerade in der Kastanien-Hauptsaison – so ab etwa September – gibt es überall in der Pfalz Restaurants, die gerne einen Saumagen mit Kastanienfüllung anbieten. Der Klassiker funktioniert allerdings anders, wie Metzgermeister Peter Gütermann aus Landau schildert:

„Für die Feinbräterstellung nehmen wir dann erst mal eh Rind und Schweinefleisch, mager Fleisch und Speck. Das wird dann halt gewolft, dann stellen wir das Feinbräter auf den Kutter und in der Zwischenzeit wird sehr oft die Kartoffel gewürfelt und das Einlagefleisch in der Mengelmaschine und wird dann mit dem Feinbräter aufgefüllt und bis zur eh bis zu Bindigkeit gemengt.“

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Saumagen in der Gourmet-Version

Auch eine gute Portion Gewürze schüttet Metzgermeister Peter Gütermann hinein. Früh morgens ab 6 Uhr wird bei ihm produziert. Die schweren Maschinen dröhnen durch den gesamten Raum. Zum Schluss wird die Masse in einen Schweinedarm gepresst, wie eine Wurst. Genauer: wie eine Brühwurst. Denn gekocht wird das Gemenge nun auch noch, etwa 4,5 Stunden. Peter Gütermanns Saumagen ist prämiert, geht an die Gourmetköche der Pfalz. Und auch, wenn er nun in Rente geht, lebt sein Saumagen weiter. Die Saumagen werden nach seiner Original-Rezeptur und unter den gleichen hohen Qualitätsbedingungen weiter produziert.

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Peter Gütermann ist ein kräftiger Mann, aber auch nicht sonderlich dick. Und das, obwohl seine Saumägen locker ein, zwei Kilo auf die Waage bringen. Etwa 1.600 Kalorien verspricht das deftige Gericht pro Kilo.

Essig statt Schnaps

Aber was passt danach am besten als Absacker? – In der Pfalz definitiv ein Gläschen Essig.

„Ich habe jetzt einen Essig für mich – den mag ich sehr – der ist mit Vanille, also richtige Bourbon-Vanilleschote. Essig sollte auch nicht in großen Mengen getrunken werden, sondern in relativ kleinen Mengen. Kleinen Kelch und da ist so ein Kegel drin. Der die Aromastoffe entsprechend lösen soll. Wir leben ja vom Essen und nicht vom Nicht-Essen. Aber ein richtiges Essen und dann noch im vorhinein oder im nachhinein mit einem Essig.“

Eine 250-Milliliter-Flasche des Vanille-Essigs kostet 43 Euro. Grundstock ist hier nämlich sehr hochwertiger Wein, der zum Teil 15 bis 20 Jahre lang in Eichenfässern zum Essig veredelt wird. Alles in Handarbeit. Und Essig macht anscheinend auch nicht dick: Georg Wiedemann vom Doktorenhof jedenfalls ist dünn wie eine Pfälzer Weinrebe.

Die dicken Kinder von Landau ließen sich so in der Recherche nicht so recht bestätigen – wohl aber die sehr leckere, manchmal ziemlich kalorienhaltige und häufig aber auch sehr überraschende Küche der Pfalz.

„Sehr zum Wohl.“

Dieser Beitrag ist am 28.01.2018 beim Deutschlandfunk in der Sendung Sonntagsspaziergang erschienen. Die Web-Version ist hier abrufbar. Für den Deutschlandfunk hat Jörg Stroisch zahlreiche Hörfunkbeiträge erstellt.