Berufsunfähigkeitsversicherung: Keine Alternative

Wer nach 1960 geboren ist, sollte sich privat gegen Berufsunfähigkeit versichern, denn für ihn springt Vater Staat nicht ein. Doch die Versicherer akzeptieren nicht jeden Kunden.

„Sind Sie sich wirklich so sicher, dass sie keine besondere Vorerkrankung haben? – Die Ergotherapeutin Helen Klein stutzt: „Natürlich weiß ich nicht, was bei meinen Ärzten in den Akten steht. Na gut, ein bisschen Allergie …“ – „… oder doch schon Asthma?“, fragt der Experte von der Verbraucherzentrale nach. Essen, ein verregneter Morgen im Januar. 25 Jahre alt, halbwegs gesund, seit kurzem einen festen Job: Der richtige Zeitpunkt für den Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung.

Wichtige Klauseln im Versicherungsvertrag

Die staatliche Berufsunfähigkeitsversicherung wurde Anfang 2001 stark eingeschränkt, seitdem gilt der ursprüngliche gesetzliche Schutz nur noch für die Generationen, die vor dem 1. Januar 1961 geboren sind. Jüngere erhalten nur noch dann die volle Erwerbsminderungsrente, wenn sie weniger als drei Stunden am Tag – egal in welchem Job – arbeiten können, sie bringt ihnen dann rund 35 Prozent des letzten Bruttoeinkommens.

„Das ist meist zu gering, um davon vernünftig zu leben“, sagt Elke Weidenbach, Versicherungsexpertin bei der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Verbraucherschützer raten deshalb zu einer privaten Berufsunfähigkeitsversicherung. Doch nicht jedes Angebot ist gleich sinnvoll. Vor allem zwei Klauseln unterscheiden gute von schlechten Policen. Beate-Kathrin Bextermöller, Projektleiterin bei der Zeitschrift Finanztest, erklärt: „Wir prüfen etwa den Verzicht auf die abstrakte Verweisung oder die Existenz einer Nachversicherungsgarantie.“

Beim „Verzicht auf die abstrakte Verweisung“ zahlt die Versicherungsgesellschaft im Schadensfall unabhängig davon, ob der Versicherte noch in einem anderen Beruf arbeiten kann. Die Nachversicherungsgarantie ermöglicht es dem Versicherungsnehmer, bei bestimmten Anlässen den Versicherungsschutz aufzustocken, ohne dass erneut eine Gesundheitsprüfung durchgeführt wird.

Die besseren Policen – also alle von Finanztest mit „Sehr gut“ bewerteten Unterlagen – sind dabei in der Regel etwas teurer. Wie viel sie kosten, richtet sich vor allem nach dem Beruf und dem allgemeinen Gesundheitszustand. Die maximal mögliche Rentenhöhe unterscheidet sich nach Versicherungsgesellschaft, darf aber meist nicht mehr als 75 Prozent des Monatsnettogehalts betragen.

Probeanträge stellen

Leicht ist es indes nicht, einen guten Vertrag zu erhalten. Verbraucherschützer raten Menschen, die gerne eine Berufsunfähigkeitsversicherung abschließen wollen, zu bis zu 20 Probeanträgen. Weidenbach: „Personen mit einer makellosen Gesundheit können auch nur einen Antrag stellen und auf eine Versicherung hoffen. Allen anderen rate ich zur Stellung mehrerer Probeanträge, die dann auch alle gleichzeitig abgesendet werden sollten. Denn die Versicherungsgesellschaften fragen nach bereits abgelehnten Anträgen oder einige wenige nach abgelehnten Probeanträgen.“

„Ganz schön aufwändig“, erinnert sich Helen Klein. Die Ergotherapeutin recherchierte zunächst diverse passende Versicherungsangebote, nachdem ein Standardschreiben zu einer Fülle nicht vergleichbarer und unkonkreter Angebote führte. In der Regel reicht das nicht: Weitere Fragekataloge werden nach der negativen Beantwortung von Gesundheitsfragen zugesendet.

Gesundheitsfragen gewissenhaft beantworten

Viele Gesellschaften verlangen vom Antragsteller, ihre Gesundheitsfragen für zehn Jahre im Rückblick zu beantworten, unter anderem diese: „Tragen Sie eine Brille? Gibt es innerhalb der letzten zehn Jahre Behandlungen des Rückens? Leiden Sie an Depression? Reagieren Sie auf bestimmte Stoffe allergisch? Welche?“ Helen Klein fragte bei allen ihren Ärzten dieses Zeitraums nach, welche Diagnosen gestellt und welche Medikamente verschrieben wurden. „Ein Gedächtnisprotokoll ist für einen solchen Zeitraum unmöglich“, stellte die Ergotherapeutin fest. Das Ergebnis ihrer Recherche: ein umfangreicher Anhang zu den Gesundheitsfragen der Standardanträge.

Ganz schön aufwändig, doch wer die Gesundheitsfragen der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung nicht gewissenhaft beantwortet, braucht sich über Ärger im Schadensfall nicht wundern. Viele Versicherer kontrollieren erst dann die angegebenen Daten. Stoßen sie dabei auf nicht erwähnte Vorerkrankungen, die sie in ihrer Risikokalkulation nicht berücksichtigen konnten, listen sie sie penibel auf. Die Folge: Der Vertrag ist rückwirkend unwirksam, und der Versicherte erhält nichts. Solche Leistungsverweigerungen sind laut der unabhängigen Schlichtungsstelle „Versicherungsombudsmann“ ein Hauptgrund für Schlichtungsverfahren.

Auch deshalb rät Stephan Gelhausen, Pressereferent beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft: „‚Muss ich das denn angeben, das merkt doch keiner‘ ist bei der Beantwortung der Gesundheitsfragen bei der Antragsstellung keine gute Strategie. Der Verbraucher sollte die Fragen immer gewissenhaft beantworten und sich im Zweifelsfall von seiner Krankenkasse einen Bericht senden lassen. Er sollte sich vom Versicherungsvertreter in diesem Punkt nicht zu einer schnellen Unterschrift drängen lassen.“

Ausschlüsse und Ablehnungen

Helen Klein ist Brillenträgerin, das ist eigentlich kein Problem für die Berufsunfähigkeitsversicherung. Schwierig wird es da schon bei ihrer Allergie mit der Tendenz zum Asthma, und das trotz Desensibilisierungstherapie. Immer wieder auch ein Problem: der Rücken. „Da hatte ich einmal physiotherapeutische Behandlung“, erinnert sich die 25-Jährige, „allerdings wegen einer falschen ärztlichen Diagnose“. Außerdem stellte ein Arzt eine zu schwache Muskulatur fest, ein Problem, welches sehr viele Menschen haben.

„Gründe für die Ablehnung eines Antrags auf Berufsunfähigkeitsversicherung oder einer Annahme nur mit erschwerten Bedingungen sind nach Häufigkeit sortiert die vielleicht nicht makellose Gesundheit, der möglicherweise risikoreiche Beruf und als gefährlich geltende Hobbys“, beschreibt Verbraucherschützerin Elke Weidenbach ihre Erfahrung aus der Beratungspraxis. So haben es hart körperlich arbeitende Menschen schwer, also viele Handwerker. Tauchen und Fallschirmspringen ist aus Sicht der Versicherungsgesellschaft auch nicht unbedingt ein günstiges Hobby.

Klauseln, die generell für bestimmte Berufsgruppen bestimmte Erkrankungen ausschließen, oder Fragebögen, die bis ins Säuglingsalter zurück die Krankengeschichte erfassen sollen, gehören heute zwar meistens nicht mehr zum Repertoire der Versicherer. Jedoch: „Der Versicherungsschutz hat sich in den letzten Jahren stark verbessert“, erklärt Finanztest-Projektleiterin Bextermöller. „Dadurch prüfen die Versicherungsgesellschaften aber vermutlich noch etwas genauer, wen sie versichern wollen.“ Verbandsvertreter Gelhausen erklärt: „Es kann noch immer nicht jeder versichert werden. Die private Versicherungswirtschaft muss risikogerecht kalkulieren und lehnt deshalb, wo dies nicht möglich ist, Anträge auch ab.“

Eingeschränkter Ausschluss

Bextermöller rät: „Bevor man gar keinen Berufsunfähigkeitsschutz erhält, sollte man lieber erhöhte Prämien wegen gesundheitlicher Probleme akzeptieren. Häufig machen die Versicherer aber nicht mit und verlangen stattdessen einen Ausschluss der Vorerkrankung. Lässt sich ein solcher Ausschluss nicht vermeiden, sollte man versuchen zu vereinbaren, dass nach einigen beschwerdefreien Jahren der Ausschluss wieder aus dem Vertrag herausgenommen wird.“

Wird eine Vorerkrankung von der Versicherungsgesellschaft vom Versicherungsumfang ausgeschlossen, dann zahlt sie die vereinbarte Rente nicht, wenn diese Vorerkrankung möglicherweise Ursache für die Berufsunfähigkeit ist.

Das Beste, was zumindest Ergotherapeutin Helen Klein bei einem Versicherer herausholen konnte, war eine Einschränkung des Ausschlusses für ihr Rückenleiden. Ein anderer Versicherer wollte sie zwar nicht gegen Berufsunfähigkeit versichern, bot ihr aber dafür eine für sie völlig unnötige Lebensversicherung an. Helen Klein verzichtete am Ende komplett auf jede Berufsunfähigkeitsversicherung.

Alternativversicherungen

Wem es ergeht wie ihr, dem bleibt nur die Suche nach Alternativen. Die ist nicht leicht, denn alle anderen Produkte sichern wesentlich weniger ab als eine mit „Sehr gut“ bewertete Berufsunfähigkeitspolice.

Sinnvoll ist vor allem die private Erwerbsunfähigkeitsversicherung, die zahlt, wenn der Versicherte überhaupt gar keinen Beruf – egal welchen – mehr ausüben kann. Hier sollte der Versicherte darauf achten, dass diese Versicherung auf jeden Fall mindestens ab dem Zeitpunkt bezahlt, ab dem auch der staatliche Erwerbsminderungsschutz greift.

Aus dem angelsächsischen Raum kommt die Idee der „Dread-Desease“-Versicherung, die beim Eintritt sehr schlimmer Erkrankungen zahlt. Das Problem dabei: Viele Erkrankungen sind in ihr gar nicht erst erfasst.

Die Grundfähigkeitsversicherung wiederum unterscheidet nach bestimmten Fähigkeitskategorien und zahlt etwa dann, wenn eine Person fast komplett erblindet, also die Grundfähigkeit des Sehens sehr stark eingeschränkt ist. Genau darin liegt aber auch das Problem, denn eine bloße Schwächung einer Grundfähigkeit führt zu keiner Zahlung.

Bleibt die Unfallversicherung, ein in Deutschland sehr verbreitetes Produkt. Doch auch sie kann die Berufsunfähigkeitsversicherung nur eingeschränkt ersetzen, denn nur etwa zehn Prozent der Fälle von Berufsunfähigkeit resultieren aus einem Unfall.

Fazit der Expertin Bextermöller: „Alle diese Versicherungen sind keine wirkliche Alternative zur Berufsunfähigkeitsversicherung, denn sie bieten nur einen Teilschutz. Deshalb sollte sich der Verbraucher zunächst intensiv um eine Berufsunfähigkeitsversicherung bemühen.“

Zum Weiterlesen:
BUZ-Versicherungsroman: Im ZEIT-online-Weblog Geldseligkeiten gibt es die komplette „Versicherungsgeschichte“ von Helen Klein in sechs Teilen.

Berufsunfähigkeitsversicherung gezielt absichern: Von den Verbraucherzentralen wird dieser Ratgeber herausgegeben. Die 160 Seiten voller Tipps gibt es für 12,90 Euro zzgl. Versandkosten.

Jörg Stroisch schreibt als freier Journalist in Köln über alle Themen rund um die privaten Finanzen. Den Usern von ZEIT online ist er durch sein Weblog „Geldseligkeiten“ und das von ihm betriebene gleichnamige Portal bekannt.
Der Name von Helen Klein wurde von der Redaktion geändert.

Dieser Artikel direkt bei Zeit.de anschauen. Dieser Artikel wurde im September 2006 verfasst. Für Zeit_online schrieb das Journalistenbüro Artikel in den Ressorts Finanzen und Reisen.